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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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befreundet zu sein.
    »Wer hat dir erzählt, dass mein
Vater Japaner war?«, fragte Garp sie.
    »Ich weiß nicht«, sagte Cushie.
»Ich weiß auch nicht, ob er wirklich einer war.«
    »Ich auch nicht«, gestand Garp.
    »Warum fragst du nicht einfach
deine Mutter?«, gab Cushie zurück. Er hatte sie natürlich gefragt, doch Jenny
war keinen Zoll von ihrer ersten und einzigen Version abgewichen.
    Als Garp Cushie in Dibbs anrief,
sagte sie: »Wow, du bist es! Gerade eben hat mein
Vater angerufen und mir gesagt, ich dürfte dich auf keinen Fall sehen oder dir
schreiben [149]  oder mit dir sprechen. Ich dürfte nicht einmal deine Briefe lesen – als ob du welche schreiben würdest. Ich glaube, irgendein Golfer hat uns
gesehen, als wir von den Kanonen zurückgegangen sind.« Sie fand es sehr
komisch, aber Garp sah nur, dass er bei den Kanonen keine Zukunft mehr hatte.
»Ich komme an dem Wochenende nach Haus, wenn du die Abschlussprüfung machst«,
teilte Cushie ihm mit. Aber Garp überlegte: Wenn er die Kondome jetzt kaufte,
würde er sie dann noch bei seiner Abschlussprüfung benutzen können? Konnten
Gummis verderben? Und in welcher Zeit? Und musste man sie im Kühlschrank
aufbewahren? Es gab niemanden, den er fragen konnte.
    Garp dachte daran, Ernie Holm zu
fragen, aber er hatte auch so schon Angst, Helen würde erfahren, dass er mit
Cushie Percy zusammen gewesen war. Und obwohl er keine eigentliche Beziehung
mit Helen hatte und sie deshalb auch nicht betrügen konnte, hatte er seine
Vorstellungskraft und seine Pläne.
    Er schrieb Helen einen langen
Beichtbrief über seine »Lust«, wie er es nannte – und dass sie nicht mit seinen
edleren Gefühlen für sie zu vergleichen sei, wie er sich ausdrückte. Helen antwortete
prompt, sie wisse nicht, warum er ihr all das
erzähle, aber ihrer Meinung nach schreibe er sehr gut
darüber. Es sei zum Beispiel besser geschrieben als die Geschichte, die er ihr
gezeigt habe, und sie hoffe, er werde ihr auch weiterhin seine Texte zeigen.
Sie fügte hinzu, ihrer Meinung nach sei Cushie Percy, jedenfalls nach dem
wenigen, was sie über das Mädchen wisse, ziemlich dumm. »Aber nett«, schrieb Helen. Und wenn Garp dieser Lust, wie er es nenne, frönen
wolle, dann könne er sich [150]  vermutlich glücklich schätzen, jemanden wie Cushie
in der Nähe zu haben.
    Garp schrieb zurück, er werde ihr
keine Geschichte mehr zeigen, bis er eine geschrieben habe, die gut genug für
sie sei. Er erörterte auch seine Motive, nicht aufs College zu gehen. Erstens,
dachte er, würde er nur aufs College gehen, um zu ringen, und er war sich nicht
sicher, ob es ihm wichtig genug war, auf dieser Stufe zu ringen. Er sah keinen
Sinn darin, an irgendeinem kleinen College, wo der Sport nicht gefördert wurde,
mit dem Ringen weiterzumachen. »Es lohnt sich nur«, schrieb Garp an Helen,
»wenn ich versuche, der Beste zu sein.« Er glaubte, der Versuch, beim Ringen
der Beste zu sein, sei nicht das, was er wollte, ganz zu schweigen davon, dass
es unwahrscheinlich war, dass er der Beste sein konnte. Und wer ging schon aufs College, um der Beste im Schreiben zu werden?
    Und wieso kam er überhaupt auf
die Idee, der Beste sein zu wollen?
    Helen schrieb ihm, er solle nach
Europa gehen, und Garp besprach den Vorschlag mit Jenny.
    Zu seiner Überraschung hatte
Jenny nie erwartet, dass er aufs College gehen würde;
für sie war das nicht der Sinn von Internaten.
    »Wenn an der Steering School
angeblich jeder eine erstklassige Bildung erhält«, sagte Jenny, »wozu um
Himmels willen brauchst du dann noch mehr Bildung?
Ich meine, wenn du immer gut aufgepasst hast, bist du jetzt gebildet.
Stimmt’s?« Garp kam sich nicht gebildet vor, aber er sagte, er nehme an, er sei
es, denn er habe immer gut aufgepasst. Was Europa anging, so zeigte sich Jenny
durchaus [151]  interessiert. »Oh, das würde ich gern mal probieren«, sagte sie.
»Es ist bestimmt besser, als hierzubleiben.«
    Da begriff Garp, dass seine
Mutter die Absicht hatte, bei ihm zu bleiben.
    »Ich werde herausfinden, wo ein
Schriftsteller in Europa am besten hingeht«, sagte Jenny zu ihm. »Ich habe
selbst daran gedacht, etwas zu schreiben.«
    Garp war so elend zumute, dass er
sich ins Bett legte. Nach dem Aufstehen schrieb er Helen, er sei dazu
verurteilt, dass seine Mutter ihm bis ans Ende seines Lebens folge. »Wie soll ich
schreiben«, schrieb er an Helen, »wenn meine Mom mir dabei über die Schulter
schaut?« Darauf wusste Helen keine Antwort; sie sagte,

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