Garp und wie er die Welt sah
Bären in einem Käfig im Hinterhof des Gebäudes, aber
dort wurde er von Hunden und Kindern geärgert, und [253] die Leute aus den
Hinterhofwohnungen warfen ihm Futter (und Schlimmeres) in den Käfig. Er legte
die Verhaltensweisen eines Bären ab und wurde verschlagen – er tat nur so, als
ob er schliefe – und fraß den größten Teil von jemandes Katze. Dann wurde er
zweimal vergiftet und bekam Angst, in dieser gefährlichen Umgebung überhaupt
noch etwas zu fressen. Es gab keine andere Möglichkeit mehr, als ihn der
Menagerie im Park von Schloss Schönbrunn zu schenken, aber auch dort hatte man
Zweifel, ob man ihn aufnehmen sollte. Er war zahnlos und krank, möglicherweise
ansteckend, und die lange Zeit, in der er wie ein menschliches Wesen behandelt
worden war, ließ es fraglich erscheinen, ob er für das Leben im Zoo überhaupt
geeignet war.
Sein Quartier unter freiem
Himmel im Hinterhof der Pension Grillparzer hatte sein Rheuma verschlimmert,
und sein einziges Talent, das Einradfahren, war unwiederbringlich dahin. Als er
es im Zoo zum ersten Mal wieder versuchte, stürzte er. Irgendjemand lachte.
Sobald irgendjemand über etwas, was Duna tat, lachte, erklärte Herrn Theobalds
Schwester, tat Duna es nie wieder. Er wurde schließlich so etwas wie ein
Wohlfahrtsfall in Schönbrunn, wo er knapp zwei Monate, nachdem er sein neues
Quartier bezogen hatte, starb. Nach Ansicht von Herrn Theobalds Schwester starb
Duna vor Schmach – die Folge eines Ausschlags, der sich über seine breite
Bärenbrust ausbreitete, die daraufhin hatte kahlgeschoren werden müssen. Mit
einer Schur, hatte einer der Tierwärter gesagt, bringe man einen Bären in
tödliche Verlegenheit.
[254] In dem trostlosen
Hinterhof des Hauses schaute ich in den leeren Käfig des Bären. Die Vögel
hatten keine Samen zurückgelassen, aber in der einen Ecke des Käfigs erhob sich
ein Hügel aus den erhärteten Exkrementen des Bären – so leblos und sogar
geruchlos wie die Opfer der Katastrophe von Pompeji. Ich musste unwillkürlich
an Robo denken; von dem Bären war mehr übrig geblieben.
Im Auto wuchs meine
Niedergeschlagenheit noch, als ich feststellte, dass der Stand des
Kilometerzählers sich nicht verändert hatte: Nicht einen einzigen Kilometer war
der Wagen heimlich gefahren worden. Es gab niemanden mehr, der sich
irgendwelche Freiheiten nahm.
»Wenn wir in sicherer
Entfernung von deiner geliebten Pension Grillparzer sind«, sagte meine zweite
Frau zu mir, »würde ich gern wissen, warum du mich eigentlich in ein so
schäbiges Haus geführt hast.«
»Das ist eine lange
Geschichte«, räumte ich ein.
Ich dachte gerade darüber
nach, dass der Bericht, den Herrn Theobalds Schwester mir über ihre Welt
erstattet hatte, von einem merkwürdigen Mangel an Begeisterung, aber auch an
Bitterkeit gekennzeichnet war. Es herrschte darin eine Eintönigkeit vor, wie
bei einem Geschichtenerzähler, der sich damit abfindet, dass seine Geschichten
unglücklich enden; als wären ihr Leben und ihre Gefährten ihr niemals exotisch vorgekommen – sondern nur Teil einer Inszenierung
für die absurde und zum Scheitern verurteilte Bemühung um Neuklassifizierung
gewesen.
[255] 7
Mehr Triebe
Also heiratete sie ihn – sie tat, worum er sie bat. Helen fand, für den Anfang sei es eine ganz gute
Geschichte. Dem alten Tinch gefiel sie auch. »Sie ist voller V-V-Verrücktheit
und Trauer«, sagte Tinch zu Garp. Er empfahl ihm, Die
Pension Grillparzer an seine, Tinchs, Lieblingszeitschrift zu schicken.
Garp wartete drei Monate, bis er folgende Antwort erhielt:
Die
Geschichte ist nur mäßig interessant, und sie bietet sprachlich oder formal
nichts Neues. Trotzdem vielen Dank, dass Sie sie uns gezeigt haben.
Garp war verwirrt und zeigte
Tinch den Ablehnungsbrief. Tinch war ebenfalls verwirrt.
»Ich nehme an, sie interessieren
sich für n-n-neuere Prosa«, sagte Tinch.
»Was ist das?«, fragte Garp.
Tinch gab zu, dass er das auch
nicht so genau wusste. »Die neue Prosa interessiert sich für Sprache und
F-F-Form, nehme ich an«, sagte er. »Aber ich verstehe nicht, womit sie sich
eigentlich beschäftigt. Manchmal beschäftigt sie sich mi-mi-mit sich selbst,
denke ich«, sagte Tinch.
»Mit sich selbst?«, fragte Garp.
[256] »Es ist so etwas wie Prosa
über P-P-Prosa«, erklärte Tinch ihm.
Garp verstand immer noch nicht,
aber es kam ihm schließlich darauf an, dass Helen die Geschichte mochte.
Fast fünfzehn Jahre später, als
Garp seinen dritten Roman
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