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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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für
sie genauso bequem und vertraut wie ein Bett – und viel größer.
    »Sie sagen, sie wollen Kinder«,
klagte Ernie. »Helen sollte doch zuerst ihre Ausbildung beenden.«
    [259]  »Mit Kindern wird Garp nie ein
Buch fertigschreiben«, sagte Jenny. Immerhin hatte sie achtzehn Jahre warten
müssen, bis sie ihr Buch auch nur in Angriff nehmen konnte.
    »Sie arbeiten beide hart«, sagte
Ernie, um sich und Jenny zu beruhigen.
    »Das müssen sie auch«, sagte
Jenny.
    »Ich weiß nicht, warum sie nicht
einfach zusammenziehen «, sagte Ernie. »Und wenn es
klappt, können sie immer nochheiraten und ein Kind
bekommen.«
    »Ich weiß nicht, wieso überhaupt jemand mit jemand anders zusammenleben möchte«,
sagte Jenny Fields.
    Ernie machte ein etwas
beleidigtes Gesicht: »Sie leben doch auch gern mit Garp zusammen«, erinnerte er
sie. »Und ich lebe gern mit Helen zusammen. Sie fehlt mir, wenn sie auf dem
College ist.«
    »Es sind die Triebe«, sagte Jenny
bedeutungsvoll. »Die Welt ist toll vor Wollust.«
    Ernie machte sich Sorgen um sie –
er wusste nicht, dass sie drauf und dran war, reich und berühmt zu werden.
»Möchten Sie ein Bier?«, fragte er Jenny.
    »Nein danke«, sagte Jenny.
    »Sie sind gute Kinder«, erinnerte
Ernie sie.
    »Aber am Ende verfallen sie alle
ihrer Triebhaftigkeit«, sagte Jenny Fields düster, und Ernie Holm ging leise in
seine Küche und machte sich noch ein Bier auf.
    Es war das »Triebe«-Kapitel in Eine sexuell Verdächtige, das Garp besonders peinlich war.
Ein berühmtes uneheliches Kind zu sein, das ließ sich ertragen, aber eine
berühmte Fallgeschichte für pubertäre Triebhaftigkeit – das war etwas anderes:
Seine ganz private Geilheit wurde ans Licht [260]  gezerrt und erregte allgemeines
öffentliches Interesse. Helen fand es sehr komisch, obwohl sie, wie sie
bekannte, seinen Hang zu Huren nicht verstehen konnte.
    »Die Triebe lassen die besten
Männer aus der Rolle fallen«, schrieb Jenny Fields – ein Satz, der Garp
besonders wütend machte.
    »Was versteht sie schon davon, zum Teufel?«, brüllte er. »Sie hat sie nie gefühlt,
kein einziges Mal. Eine schöne Expertin ist das! Es ist, wie wenn eine Pflanze
einen Vortrag über Säugetiere halten würde!«
    Aber andere Kritiker gingen
freundlicher mit Jenny um. Die seriösen Zeitungen tadelten sie gelegentlich
wegen ihres Schreibstils, aber im Allgemeinen berichteten die Medien
wohlwollend über das Buch. »Die erste wahrhaft feministische Autobiographie,
die eine bestimmte Lebensweise ebenso feiert, wie sie eine andere verdammt«,
schrieb jemand. »Dieses mutige Buch stellt die wichtige Behauptung auf, dass
eine Frau auch ohne jedwede sexuelle Bindung ganz Frau sein kann«, schrieb
jemand anders.
    »Heutzutage«, hatte John Wolf sie
gewarnt, »sind Sie entweder ›die richtige Stimme im richtigen Moment‹, oder Sie
liegen für die Leute auf der ganzen Linie falsch.« Zwar erwies sie sich
durchaus als »die richtige Stimme im richtigen Moment«, trotzdem wurde Jenny
Fields, die John Wolf in ihrer schneeweißen Schwesterntracht in dem Lieblingsautoren
vorbehaltenen Restaurant gegenübersaß, beim Wort Feminismus immer ein wenig
mulmig. Sie war sich nicht sicher, was es bedeutete, aber es erinnerte sie an
Frauenhygiene und an die Valentine-Behandlung. Schließlich war sie gelernte
Krankenschwester. Schüchtern wandte [261]  sie ein, sie hätte doch nur versucht,
die richtige Entscheidung für ihr Leben zu treffen, und da es keine sehr
populäre Entscheidung gewesen sei, habe sie sich bemüßigt gefühlt, sich zu
rechtfertigen. Zu ihrem Erstaunen fanden etliche junge Frauen von der Florida
State University in Tallahassee Jennys Entscheidung durchaus populär, und zwar sehr, und sie entfesselten eine regelrechte Kontroverse,
indem sie ihre eigenen Schwangerschaften auf ähnliche Weise planten. Eine
Zeitlang nannte man in New York dieses Syndrom bei Frauen, die allein ein Kind
haben wollten, »eine Fieldserei«. Aber Garp nannte es immer »eine Grillparzerei
machen«. Jenny dagegen kam es nur darauf an, dass Frauen – genau wie Männer –
imstande sein sollten, über ihr Leben zu entscheiden; wenn diese Forderung sie
zu einer Feministin mache, sagte sie, dann müsse sie wohl eine sein.
    John Wolf mochte Jenny Fields
sehr, und er tat sein Möglichstes, um sie darauf vorzubereiten, dass sie unter
Umständen weder die Angriffe noch die Lobeshymnen auf ihr Buch verstehen würde.
Aber Jenny begriff nie ganz, wie »politisch« ihr

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