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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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aber nicht so mager. Und die Soldaten – ich wusste, dass sie
unglücklich sind«, sagte sie, »aber nicht, dass sie so unglücklich sein würden.«
    Mein Vater kündigte beim
Fremdenverkehrsamt und fand eine Stellung in einer privaten Detektei, die auf
Hotels und Warenhäuser spezialisiert war. Die Arbeit befriedigte ihn.
Allerdings weigerte er sich, in der Weihnachtszeit Dienst zu tun – vor
Weihnachten, sagte er, müsse man einigen Leuten erlauben, ein bisschen zu
stehlen.
    Meine Eltern wurden mit den
Jahren gelöster, und ich hatte wirklich das Gefühl, dass sie zuletzt
einigermaßen glücklich waren. Ich weiß, dass der Traum durch die Wirklichkeit
und besonders durch das, was Robo widerfuhr, viel von seiner Kraft einbüßte.
Robo besuchte ein Internat und war dort sehr beliebt, aber in seinem ersten
Semester an der Universität kam er durch eine selbstgebastelte Bombe ums Leben.
Dabei war er nicht einmal »politisch«. In seinem letzten Brief an meine Eltern
schrieb er: »Die radikalen Studenten nehmen sich längst nicht so ernst, wie man
allgemein glaubt. Und das Essen ist abscheulich.« Dann ging Robo in sein
Geschichtsseminar, und der Seminarraum flog in die Luft.
    Einige Zeit nachdem meine
Eltern gestorben waren, gab ich das Rauchen auf und fing wieder an zu reisen.
Ich stieg mit meiner zweiten Frau in der Pension Grillparzer ab. Mit meiner
ersten Frau war ich nie bis nach Wien gekommen.
    [251]  Die Pension Grillparzer
hatte Vaters B-Einstufung nicht lange halten können, und zu der Zeit, als ich
dort noch einmal Gast war, war sie längst aus jeder Wertung herausgefallen.
Herrn Theobalds Schwester führte sie. Ihre vormaligen Reize waren jenem
geschlechtslosen Zynismus mancher unverheirateter Tanten gewichen. Sie war
unförmig, und ihr Haar war feuerrot gefärbt, so dass ihr Kopf einem dieser
kupfernen Topfreiniger ähnelte. Sie konnte sich nicht mehr an mich erinnern, und
meine Fragen machten sie misstrauisch. Da ich so viel über ihre früheren
Kollegen zu wissen schien, nahm sie wahrscheinlich an, dass ich ein Polizist
sei.
    Der ungarische Sänger war
fortgegangen – eine andere Frau war seiner Stimme erlegen. Der Mann mit den
Träumen war fortgebracht worden – in ein Irrenhaus. Seine eigenen Träume hatten
sich in Alpträume verwandelt, und er hatte jede Nacht die ganze Pension mit
seinen grauenhaften Schreien geweckt. Sein Abtransport aus dem
heruntergekommenen Etablissement, sagte Herrn Theobalds Schwester, fiel
zeitlich ungefähr mit dem Verlust des B-Rangs zusammen. Herr Theobald war tot.
Er war mit einem jähen Griff nach seinem Herzen tot umgefallen, als er sich
eines Nachts in den Flur hinauswagte, um einen vermeintlichen Einbrecher
aufzuspüren. Es war nur Duna gewesen, der unzufriedene Bär, der den
Nadelstreifenanzug des Mannes mit den Träumen trug.
    Warum Herrn Theobalds
Schwester den Bären so gekleidet hatte, konnte ich nicht herausbringen, aber
der Anblick des mürrischen Tiers, das im Anzug des [252]  Verrückten auf seinem
Einrad radelte, hatte Herrn Theobald buchstäblich zu Tode erschreckt.
    Dem Mann, der nur auf seinen
Händen gehen konnte, war ebenfalls ein ernstes Missgeschick widerfahren. Seine
Armbanduhr hatte sich in einer Rolltreppenstufe verhakt, und er konnte sich
nicht mehr losmachen; seine Krawatte, die er nur selten umband, weil sie auf
dem Boden schleifte, wenn er auf seinen Händen ging, wurde unter den Rost am
Ende der Rolltreppe gezogen – und erwürgte ihn. Hinter ihm bildete sich eine
Schlange von Leuten, die auf der Stelle traten, indem sie eine Stufe
rückwärtsgingen, sich von der Rolltreppe wieder ein Stückchen vorwärtstragen
ließen und dann wieder eine Stufe rückwärtsgingen. Die Welt verfügt über viele
ungewollt grausame Mechanismen, die nicht geschaffen sind für Menschen, die auf
ihren Händen gehen.
    Danach, erzählte mir Herrn
Theobalds Schwester, fiel die Pension Grillparzer von der Klasse C ins
Bodenlose. Seit die Führung des Hauses auf ihren Schultern lastete, hatte sie
weniger Zeit für Duna, und der Bär wurde senil und benahm sich ungehörig.
Einmal jagte er einen Briefträger so schnell eine Marmortreppe hinunter, dass
der Mann stürzte und sich die Hüfte brach; der Vorfall wurde angezeigt, und die
Behörden pochten auf eine alte städtische Verordnung, nach der Tiere nicht frei
in öffentlich zugänglichen Räumen herumlaufen durften. Duna wurde aus der
Pension Grillparzer verbannt.
    Eine Weile hielt Herrn
Theobalds Schwester den

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