Garten des Lebens
tief durch. “Du siehst großartig aus. Es ist schön, dich zu sehen.”
“Du auch”, erwiderte Carolyn und meinte es ehrlich. Sie war traurig gewesen, dass der Kontakt zwischen ihnen abgebrochen war. “Wie geht es deiner Mutter?”
Susannah legte ihre Handtasche neben sich auf die Bank. “Ich fürchte, es ist schlimmer, als ich angenommen habe.”
“Das tut mir leid”, erwiderte Carolyn.
Susannah lehnte sich auf der harten Holzbank zurück und seufzte. “Ich habe sie zum Essen ausgeführt, und die meiste Zeit glaubte sie, ich sei meine Tante Jean, die seit fünfzehn Jahren tot ist.”
“O nein.”
Susannah lachte leise. “Eigentlich wollte ich nicht über meine Mutter sprechen. Sie ist ein Schatz, aber seit mein Vater gestorben ist, ist sie ein bisschen verwirrt und …” Als würde ihr unvermittelt bewusst werden, dass sie schon wieder über ihre Mutter sprach, schüttelte Susannah den Kopf. “Zuerst möchte ich wissen, wie es passieren konnte, dass wir uns jahrelang aus den Augen verloren haben.”
Carolyn zuckte die Schultern. Sie wollte nicht in die Vergangenheit blicken und über die verpassten Möglichkeiten nachdenken – besonders nicht die der letzten Jahre. “Ich weiß es nicht. Ich war so beschäftigt damit, was mit meiner Familie geschehen ist, dass ich kaum noch Zeit für etwas anderes hatte. Kurz bevor mein Vater starb, zog ich wieder nach Colville. Er war schon lange krank, und das Geschäft mit dem Sägewerk lief schlecht.”
“Ich habe mich schon gefragt, wie es läuft.”
“Als ich das Werk übernahm, stand es kurz vor dem Bankrott. Es hat mich viel Zeit und Kraft gekostet, die Firma wieder auf Kurs zu bringen, und aus dem Grund hatte ich nicht viel Muße, mich um private Kontakte zu kümmern.”
“Anders gesagt, du hattest kein eigenes Leben.”
Carolyn nickte. “Das trifft es ziemlich genau.”
“Und wie läuft das Sägewerk heute?” Susannah straffte die Schultern und lächelte. “Ich muss sagen, ich bin sehr beeindruckt, dass du ein so wichtiges Geschäft leitest. Das wusste ich gar nicht.”
“Wir sind solvent und wachsen stetig.” Carolyn wollte nicht angeben, aber Tatsache war, dass das Sägewerk Gewinne einfuhr, und das in einer Zeit, in der viele andere Betriebe aufgaben. Kluge Investitionen, Ausweitung des Exports und Carolyns Fähigkeiten als Geschäftsfrau hatten das Bronson Sägewerk nicht nur vor dem Konkurs gerettet, sondern es zu einer der führenden Firmen in der Holzbranche werden lassen.
“Was ist mit dir?”, fragte Carolyn. “Warst du öfter in der Stadt?”
Bevor Susannah etwas erwidern konnte, kam die Kellnerin an ihren Tisch, um die Bestellung aufzunehmen. Die beiden Freundinnen entschieden sich für Diät-Cola.
Susannah wartete ab, bis die Kellnerin gegangen war, bevor sie antwortete: “Ich war nicht oft in der Stadt – zwei- oder dreimal in den letzten fünf Jahren. Bis vor Kurzem kamen Mom und Dad oft an die Küste, um uns zu besuchen. Dad starb im vergangenen November.”
Susannah sprach scheinbar ohne jede Gefühlsregung über den Tod ihres Vaters, aber Carolyn nahm ein leichtes Zittern in der Stimme der Freundin wahr. Ihr eigener Vater war seit einigen Jahren tot, und sie spürte den schmerzvollen Verlust immer noch Tag für Tag.
“Du hast auch deine Mutter verloren, stimmt's?”, fragte Susannah.
“Mom ist vor zwei Jahren an Krebs gestorben”, sagte Carolyn. Und auch wenn der Tod furchtbar gewesen war, wusste Carolyn, dass ihre Mutter ihn willkommen geheißen hatte. Für ihre Mutter war das Leben eine einzige Enttäuschung gewesen. Und mit ihrem Ehemann hatte Brigitte zugleich jeglichen Sinn im Leben verloren. Es war ihr nicht gelungen, Freunde in Colville zu finden oder ein Hobby für sich zu entdecken. Carolyn dachte nicht gern darüber nach, wie enttäuscht, frustriert und traurig ihre Mutter gewesen sein musste.
“Dad starb an kongestiver Herzinsuffizienz”, fügte sie hinzu. Es war eine furchtbare Art zu sterben. Carolyn war froh, dass sie in den letzten Monaten bei ihm hatte sein können. Sie waren einander immer nahe gewesen, und je näher das Ende kam, desto inniger wurde ihr Verhältnis.
Als Carolyn nach Colville zurückkehrte, hatte sie zunächst noch vorgehabt, das Sägewerk nach seinem Tod zu verkaufen, doch in den letzten Monaten seines Lebens wurde ihr klar, dass sie sein Vermächtnis nicht einfach aufgeben konnte. Das Sägewerk war seit drei Generationen in Familienbesitz und nun gehörte es ihr. Es zu
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