Garten des Lebens
übernehmen, war ein Privileg.
“Das tut mir leid”, murmelte Susannah.
“Meinen Vater zu verlieren war schwer”, gab Carolyn zu. “Wir standen uns sehr nahe. Und je länger ich hier war, desto klarer wurde mir, dass, egal wo ich auch gelebt habe, diese Stadt, dieser Ort meine Heimat ist.”
“Und? Gefällt es dir – das Sägewerk zu leiten, meine ich?”
Carolyn lächelte. Es machte sie verlegen, zuzugeben, wie sehr sie an dem Familienunternehmen hing. “Ich liebe es. Und das hätte ich nie gedacht. Ich habe den MBA, meinen Master of Business Administration, nur Dad zuliebe gemacht. Gleich nach dem Studium nahm ich den ersten Job bei Techtronics an. Es gefiel mir, und ich arbeitete mich in eine Management-Position hoch. Gerade als Dads Anruf mich erreichte, wurde mir eine weitere Beförderung angeboten.”
“Was für ein Anruf?”
Carolyn würde dieses Telefonat nie vergessen. “In seinem ganzen Leben hat Dad mich nie um etwas gebeten.” Anders als ihre Mutter, die immerzu Forderungen gestellt hatte, von denen Carolyn die meisten nicht erfüllen konnte. “Er bat mich, nach Hause zu kommen. Er brauchte mich. Gleich am nächsten Tag kündigte ich, packte meine Sache und fuhr nach Colville.”
Die Kellnerin erschien mit den Getränken am Tisch, und für einen Moment schwiegen die Freundinnen.
“Ich wünschte, ich wüsste, wie ich Mom helfen kann”, sagte Susannah gedankenverloren. “Ich weiß, dass sie eigentlich umziehen müsste, aber sie davon zu überzeugen dürfte ein hartes Stück Arbeit werden.”
Carolyn beneidete ihre Freundin nicht um diese Aufgabe. “Was wirst du mit dem Haus machen?”
“Wenn ich weiß, dass Mom gut untergebracht ist und sich wohlfühlt, werde ich das Haus wahrscheinlich zum Verkauf anbieten. Betreutes Wohnen ist recht kostenintensiv. Offen gesagt war ich erschrocken darüber,
wie
teuer es ist. Dad hat für Mom vorgesorgt, aber der größte Anteil ist das Kapital in Form des Hauses. Ohne Frage werde ich es verkaufen müssen – je eher, desto besser, damit ich das Geld anlegen kann.”
“Warum nehmt ihr sie nicht mit nach Seattle, in eine Einrichtung in eurer Nähe?” Das schien Carolyn die logischste Lösung zu sein.
“Ich wünschte, ich könnte sie dazu bewegen, aber sie weigert sich. Ihre Freunde sind hier – obwohl sie sie kaum noch trifft – und alles ist ihr vertraut. Außerdem sind die Mieten hier weitaus günstiger als in Seattle.”
“Wenigstens hast du deine Mutter noch. Als meine Mom starb, kam es mir so vor, als sei ich plötzlich ein Waisenkind. Ganz allein auf der Welt. Ich war beinahe fünfzig Jahre alt und dachte immer noch, ich sei nicht reif genug, erwachsen und auf mich gestellt zu sein. Das klingt lächerlich, stimmt's?”
“Überhaupt nicht”, entgegnete Susannah. “Ich habe mich genauso gefühlt. Ich hasse es, Entscheidungen über das Leben meiner Mutter zu fällen, ohne Doug fragen zu können.” Sie schluckte. “Es ist nicht fair. Mein Bruder sollte mir bei dieser Angelegenheit helfen. Wenn er bloß hier wäre.”
Carolyn senkte den Kopf. Susannah sollte nicht sehen, was Dougs Name in ihr auslöste. Ein Schmerz durchzuckte sie. Sein Tod hatte sie getroffen.
Susannah starrte ins Leere. “Ich vermisse ihn. Mein Bruder starb vor zweiunddreißig Jahren, und ich vermisse ihn noch immer.” Sie schlug die Augen nieder und rührte mit dem Strohhalm ihr Getränk um. Die Eiswürfel klirrten im Glas.
Carolyn wollte nicht über Doug sprechen. “Du bist immer noch verheiratet, oder?”, fragte sie. “Deine Mutter hat so etwas erzählt, als wir uns trafen.”
“O ja … Joe und ich sind seit beinahe fünfundzwanzig Jahren zusammen. Wir haben zwei fast erwachsene Kinder. Joe ist Zahnarzt, und ich unterrichte in einer Schule.”
“Ich habe geglaubt, du würdest einmal Jake heiraten.” Carolyn erinnerte sich daran, wie Susannah sich die ganzen neun Monate, die sie in Frankreich verbrachten, nach Jake gesehnt, wie sie ungeduldig seine Briefe erwartet hatte. Zu Beginn schrieb er regelmäßig, aber nach ein paar Monaten hörte er auf. Dann kam auch noch die Nachricht von Dougs Tod. Ihre Freundin war in dieser Zeit höchst depressiv.
Ein verträumter Ausdruck erschien in Susannahs Augen. “Ich habe auch immer gedacht, ich würde ihn heiraten …” Sie unterbrach sich und zuckte mit den Schultern. “Als ich aus Frankreich zurückkam, war er umgezogen. Seine neue Adresse habe ich nicht herausfinden können. Keine Ahnung, warum er
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