Gartengeschichten
Stelle trat das Naturwunder, und erwachsene Gärtner glaubten gern daran, daß es völlig ungiftige Substanzen gäbe, die den Tierschmutz, das Lausige vernichten und alles andere in Frieden und am Leben lassen würden.
Als das Jahrtausend zu Ende war und ein neues begonnen hatte, war der Schmutz kein Feind mehr, sondern man hielt ein Leben ohne seine Anwesenheit für möglich. Das war immer ein Versprechen der Moderne gewesen, eine Existenz ohne Moder, Matsch, heimliche Ecken, Dreck und Verwahrlosung. So sehen die Gärten, die von Professionellen gestaltet werden, auch aus. Ebenso die Gärtnereien, wenn es sich nichtum die paar übriggebliebenen Klitschen aus dem vorigen Jahrhundert handelt. Die Erde ein hocheffizientes Substrat, durchsetzt von Tausenden identischer Töpfchen, in denen, von einer Regenmaschine computergesteuert feucht gehalten und gedüngt, identisch fette Pflänzchen heranwachsen. An Schmutz denkt da keiner. Allerdings ist dieser Substanz etwas beigemischt – und das sieht jeder, der einem Pflanzenkaufrausch erliegt –, das dicke, bunte, prahlerische Blumen merkwürdig rasch zu Schmutz werden läßt. Besonders auffällig ist es bei den hübschen Lückenfüllern und Allzweckwaffen, die früher so verläßlich den ganzen Sommer über durchhielten: Lobelien zum Beispiel oder die verschiedenen Lieschen, Steinkraut, Margeriten. Kaum gekauft, machen sie trotz guter Pflege schlapp, verknittern, verfaulen, brechen einfach in ihren Töpfen zusammen und wollen nichts als auf den Komposthaufen. Als nähmen sie den schnellen Tod willig hin, um endlich mal richtige Erde zu spüren. Sie verwelken nicht mehr langsam und in schön anzusehenden Stadien, sie lassen einem nicht mehr die Zeit, sich mit der Vergänglichkeit zu versöhnen. Sie bilden keine Früchte oder Samen, keine Kapseln oder Schoten, sie zeigen nicht, daß es irgendwie weitergehen wird. Es ist ein schlagartiges, schnelles und erwünschtes Verrecken, um neuer Jugend Platz zu machen.
Wer auf diese übertriebene Üppigkeit reinfällt, und ich kenne niemanden, der das nicht gelegentlich tut, wird zuverlässig enttäuscht. Auch wenn man sich bemüht, und das tut man ja, grade wenn man ein so offensichtlich gedoptes Pflanzenkind auf den Weg von Normalität und Tugend zurückbringen will. Das Beste, was passieren kann, sind im Folgejahr etwas mürrische, ungelenke Pflanzen mit normaler Blütenanzahl. Über die freut sich ein mitfühlender, man kannauch sagen, sentimentaler Gärtner, es ist doch irgendwie ein moralischer Erfolg. Allerdings sehen solche den Drogen entrissenen Opfer nie mehr besonders gut aus, es fehlt eben an einer vernünftigen Kindheit. Und dann kommt irgendwann doch die Frage, rausreißen, endlich Schmutz werden lassen oder weiterschleppen?
Es gibt Schmutzlieferanten, deren man nicht so ohne weiteres Herr werden kann, das sind die Bäume. Nachbarschaftsstreit droht im Herbst, wenn die alljährlich neu schmerzende Erkenntnis über die Unbeherrschbarkeit fallender Blätter Hausbesitzer und Straßenanrainer erbittert. Dieser Haß über die goldnen Taler der Birken. Die Warnungen vor der Unverrottbarkeit von Eichenlaub. Da ist es nur konsequent, daß ein Lifestyleblatt sehr lobend über einen für sein cholerisches Temperament bekannten pensionierten Torhüter berichtet, er plane für sein neues Haus einen so gut wie baumlosen Garten . Da wird manchem Schmutz ein für allemal ein Ende gemacht werden. Keine runterhängenden und unkontrolliert wachsenden Zweige, keine nadelnden und rindebröselnden Äste, keine Blätter in welchem verfaulten oder vertrockneten Zustand auch immer.
Es gibt Bäume mit gutem, schlechtem und ganz schlechtem Ruf. Birken zum Beispiel, lichte, leichtfertige und zähe Bäume, haben einen ganz schlechten Ruf in der Stadt. In russischen Wäldern oder in einem Bühnenbild für Gorkis Sommergäste mögen sie richtig sein, sagt ein gebildeter Nachbar, an der Straße, im Vorgarten oder sonstwie in Menschennähe aber hätten sie nichts verloren. Im Frühjahr machen sie Schnupfen und Pollenschmutz auf geparkten Autos, und im Herbst sieht niemand, wie wunderbar die goldenen Blätter sind, sondern die Empörung über den Birkendreck wird letztlich zu ihrer Exekution führen. Mir gegenüber stand eine,weiß und luftig, auf ihrer höchsten Spitze saß allabendlich ein Amselmännchen und sang ein unglaubliches Repertoire. Weg ist sie, weg ist der Amselherr.
Was er meint, sind diese Schlafsiedlungen, diese Punkthäuser, diese
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