Gartengeschichten
unterirdischen Produktion kleiner, weißer Knöllchen. Das sind die Rekruten. Im nächsten Februar werden an vorher noch unberührten Plätzen die fetten, grünen Blättchen zuhauf erscheinen, und die gelben Blümchen werden von unseren ahnungslosen Gartengästen mit den Worten begrüßt: Wie hübsch! Richtig frühlingshaft! Im übrigen soll man das Teufelszeug essen können. Loswerden kann man es nicht. Man müßte die Erde abtragen und Millionen Knöllchen heraussieben. Wenn man einen Feind hat oder einen schrecklichen Gartenangeber in der Nachbarschaft – eine Handvoll weißer Knöllchen wird ihn spätestens zwei, drei Jahre später Demut lehren.
Wenn Sie eines Frühlings Ihren Garten plötzlich violett sehen, ohne daß Sie ihn violett geplant hatten: Das sind Silbertaler. Im vorletzten Herbst hatte Ihnen wahrscheinlich jemand diese hübschen, starren Zweige mit den runden Tellerchen dran mitgebracht und Ihnen gezeigt, wie man die, indem man sie ganz zart zwischen zwei Fingern reibt, in ihre Bestandteile zerlegt. Die Bestandteile sind: ein hauchdünnes, silbernes Rädchen, das am Zweig bleibt, zwei unansehnliche Schutzhüllen und einige schwarze Körner, die darin verpackt waren. Im Blumenladen sind die Zweige als Bestandteil haltbarer Designersträuße so begehrt wie teuer: Jemand muß die silbernen Dinger ja Stück für Stück freireiben, das geht nicht maschinell.
Unseren violett erblühten Garten verdanken wir den schwarzen Körnern, die wir damals achtlos weggeworfen haben. Silbertaler keimen dort sehr üppig, wo man sie nicht haben will. Den edlen, filigranen Zweigen sieht man ihren ordinären Ursprung überhaupt nicht an. Stämmig, wie Verwandtschaft vom Lande, stehen Dutzende von Pflanzen auf dicken, graugrünen Beinen und halten ihre krachlila Dolden in die Luft, zu viele Blüten und ganz sicher die falsche Farbe. Sie paßt zu nichts außer zu sich selbst, beißt sich mit dem Frühlingsgelb der Pomponsträucher und dem Rot der Wildtulpen, bringt jedes Weiß im Garten zum Schweigen. Wer allerdings meint, mit Silbertalern irgendeine dunkle, verlassene Ecke des Gartens zum Leuchten bringen zu können, irrt sich. Absichtlich gesät, gehen sie nicht auf. Um keinen Preis.
Es ist ein unerklärliches Phänomen: Invasionen wie diese finden nur in kleineren Gärten statt. In imperiale Gärten wagt sich das Störzeug nicht, oder es benimmt sich manierlich und begnügt sich mit vernachlässigten Ecken, in denen es nett vor sich hin blüht. Noch nie hat sich die Inhaberin einesGartenlatifundiums bei mir über florale Überfälle beklagt – im Gegenteil. Wenn ich es tue, weil mein winziger Planet unter einem Überangebot an Affenbrotbäumen unterzugehen droht, sagen die Gartendamen: Ach, man muß einfach mit ihnen leben, mit den Affenbrotbäumen. Sie sehen doch sogar ganz gut aus, dahinten in ihrer Ecke.
Eines Tages sah ich etwas Großes im Garten beginnen. Bei Hundewelpen erkennt man an den Pfoten, ob sie zu Kälbern heranwachsen werden – bei dieser Pflanze ließen schon die Keimblätter Gewaltiges ahnen. Es handelte sich um Heracleum mantegazzianum, den Riesen-Bärenklau, auch Herkulesstaude genannt. Verfolgt man den Werdegang dieses Gewächses in Beschreibungen, fällt einem ein panischer Ton auf, der auch in wissenschaftlichen Veröffentlichungen spürbar ist. Ursprünglich komme das Kraut aus dem Kaukasus, heißt es, das klingt warnend, nach wilden Horden aus dem Osten, nach Dschingis-Khan oder Roter Armee. Es sei ihm gelungen, fast ganz Europa zu überziehen, vor allem Bachläufe besiedele es in hellen Scharen, und seine Blütenstände erreichten den Durchmesser von Regenschirmen. Auch mit der Höhe der Einwanderer übertrumpfen sich die Berichterstatter, im Guinness-Buch der Rekorde findet sich ein Exemplar von über dreieinhalb Metern.
Mein Eroberer reichte mir im April schon bis zu den Schultern, und seine Blätter glichen Elefantenohren. Was ich nicht wußte: Er soll imstande sein, ein Gift zu bilden, das in Verbindung mit Sonnenlicht schwere Verbrennungen auf der menschlichen Haut verursacht. Noch dachte ich nichts Böses beim Anblick dieses Neuankömmlings, er faszinierte mich, und nur sein Geruch war mir etwas unheimlich, irgendwie aasig. Ich hatte, ohne es zu ahnen, schon einen großen Fehler gemacht: hatte mich beeindrucken lassen vom Imponiergehabeund nicht den Anfängen gewehrt. Ich hätte mich schon auf Herkules im Babystadium stürzen sollen, mit allen zur Verfügung stehenden
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