Gartengeschichten
Margeritensamen zu legen mildert die Trauer darüber, wie schnell der Frühling vorübergeht. Tulpenstengel und Blätter muß man aber heruntertrocknen lassen, wenn man im nächsten Jahr wenigstens ein paar neue Blumen haben will.
Von gartenbesuchenden Intellektuellen kann man viel lernen, wenn man will. Nämlich daß es nicht schadet, die eigenen ins Kraut geschossenen Grandiositätsphantasien kritisch zu betrachten. Tatsächlich ist es ratsam, sich und seinen Garten manchmal mit fremden Augen anzuschauen, damit man nicht wunderlich wird. Verblüffend bekömmlich sind dabei Freunde, die außer den Farnen im Fenster ihrer Stammkneipe keine Gewächse gelten lassen. Voltaires Il faut cultiver notre jardin erklären sie zur reinen Ironie und das Loblied auf das eigene Stück Erde für den Anfang aller Irrwege. Unser Einwurf, daß man die Unmöglichkeit sozialistischen Handelns leicht an dem Unfrieden erkennen könne, der schon bei der primitivsten Gestaltung und Pflege eines Gemeinschaftsgartens entsteht, kontern sie kühl mit dem Vorwurf, man weigere sich, zur Verantwortung für das Gemeinwesen zu stehen. Daß Menschenwerk nur dann wirklich erträglich ist, wennes sich um das eigene handelt – was Bepflanzungen betrifft jedenfalls –, dient als Beweis für unsere Rückständigkeit. Das hat alles einen wahren Kern, oh, wer wüßte das besser als wir selber, wenn wir in unserer selbstgewählten Einsamkeit Meter um Meter Buchshecke frisieren. Wie schön wäre da friedliche Arbeitsteilung. Aber es geht eben nicht. Grade das Buchseschneiden führt zu heftigen Zerwürfnissen.
Wir bedenken also unseren Garten, angeregt durch kluge und gartenabstinente Freunde, von Zeit zu Zeit neu. Was heißt es, diesen paar Quadratmetern erlegen zu sein? Es heißt, daß man auf das Größere verzichtet hat. Natürlich war einem das nicht von Anfang an klar. Der Garten schien nur eine Station auf dem Weg zu sein, eine kleine Seitengasse des Lebens, zum wirklich Wichtigen würde man noch kommen. Und nun ist er für uns das wirklich Wichtige geworden, warum wird einem das eigentlich erst durch die etwas mitleidigen Blicke derer bewußt, die sich bisher nicht haben aufhalten lassen und Sätze sagen wie: Ich hätte für so was keine Zeit. Einst wollten wir die Welt verändern, Karriere machen, Entscheidungen fällen – jetzt graben wir um, stecken Zwiebeln und bekämpfen nicht den Kapitalismus, sondern den Dickmaulrüssler.
Das Dilemma wird nicht aufzulösen sein, es läßt sich aber in an- und aufregender Gesellschaft unter Bäumen ganz gut ertragen, auch wenn unsere Gartengäste sich nicht dafür interessieren, wie die Bäume heißen, unter denen sie sitzen. Eines Tages werden wir Mut fassen und ihnen sagen, was sie versäumt haben. Sie verstünden nämlich mehr, wenn sie mehr verstünden. Nehmen wir zum Beispiel die Sache mit den Trauerrosen: Else Lasker-Schüler schreibt von den Amseln, die ihnen glichen, und nur, wer im Garten den wirklichen Amseln zugesehen hat, vermag ihr zu folgen. Amselnstürzen nämlich wirklich schwarzen Rosen gleich aus dem Himmel bis kurz vor den Boden, eine fallende, nicht eine fliegende Bewegung, und so zeigt sich, daß die Dichterin genau hingeschaut hat, in wessen Garten auch immer. Nimm die Forsythien tief in dich hinein – um sich vorzustellen, wie das sein könnte, sollte man sie genau angesehen haben, diese Forsythien. Sie lassen nämlich die erste wilde Farbe im Jahr aufgehen, ein reines, augenbetäubendes Gelb, eine Überwältigungsfarbe. Viele mögen sie deshalb nicht, aber Gottfried Benn fordert, sich diesem Gelb ganz auszuliefern und es sich gleichsam einzuverleiben. Wie kann man das Gedicht verstehen, ohne dieses Gelb wirklich zu kennen? Die Dichter pflücken ihre Wörter oft in Gärten, und nur, wenn man Gärten kennt, kann man sie wirklich verstehen. Hüt dich, schöns Blümelein! Was begreift man zum Beispiel von dem Barocklied, das den Schnitter Tod besingt, wenn man keine Ahnung hat, wie Narzissen oder türkische Binden aussehen? Denn in diesem Lied stehen die Blumen für Menschen, hochmütige, prunksüchtige und demütig sich duckende. Alle kommen sie unter die Sense. Und ob man selber ein himmelblauer Ehrenpreis oder eine weiße Lilie war, ist dann nicht mehr wichtig, vorher aber um so mehr. Unkraut oder Blumenadel.
Einen Philosophen kenne ich, der einen Sommer lang begriffen hat, wie wohl ihm der Garten tut. Er hat vielleicht seine antiken Vorläufer gelesen, Cato und Lucullus und Sulla
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