Gartengeschichten
das, es braucht diese Eintönigkeit wie die Luft zum Atmen –, haben echte Intellektuelle keine Freude. Es fällt ihnen zuverlässig eine Menge Wichtigeres ein, wofür man seine Zeit verwenden sollte. Sie reagieren nervös, wenn wir ihnen vom schöpferischen Potential erzählen, das beim Kompostumsetzen, Bäumeschneiden oder Rasenmähen freigesetzt wird. Sie glauben uns nicht, weil wir uns selber nicht wirklich glauben. Es sind doch alles Ausreden, und die gescheiten Leute wissen es. In Wirklichkeit haben wir, die Gartenliebhaber, die prachtvollste Art zu verblöden entdeckt, eine Leichtigkeit des Seins ganz eigener Art. Beim Graben grübeln, sich über Zwiebeln und Zweige Gedanken machen, die Vollkommenheit des Unwichtigen bis zur Neige auskosten: Jeder, der einmal ein neues Beet geplant oder die Anlage einer Hecke bedacht hat, kennt die wunderbare, grün beschienene Leere, die sich dabei im Kopf einstellt. Insofern haben wir etwas zu verschenken und sollten das großzügig tun. Mehr als ein ungefähres und unbegründetes Wohlbefinden werden unsere intellektuellen Freundinnen und Freunde nicht zustande bringen, das muß uns, den Gestaltern des locus amoenus genügen. Und wir dürfen dafür erwarten, daß wir am Geistesleben wenigstens soweit beteiligt werden, daß wir uns in Gesellschaft nicht blamieren. Justus Lipsius soll recht haben: Denn es ist fürwahr eine uns verborgene und angeborene Kraft, deren innerste Ursachen ich nicht leicht angeben kann,die uns zu dieser unschädlichen und ehrlichen Lust hinzieht, nicht uns allein, die wir ohnehin dazu geneigt sind, sondern auch eben diese ernsten und strengen Leute, die sich dagegen aufstemmen und dasselbe verlachen . Lipsius nennt den Garten diese schöne Zierde der untersten Welt . Und mehr wollen wir ja gar nicht.
Paradiesgärten
»So werd ich versetzet / in himmlischen Garten«
Volkslied
In Wetzlar lebte vor vielen Jahren eine sehr merkwürdige Frau. Sie war von Beruf Kinderärztin, und viele heute erwachsene Wetzlarer erinnern sich an sie mit Ehrfurcht und Grauen. Sie hieß Irmgard von Lemmers-Danforth und war eine manische Sammlerin von möglichst riesigen, unhandlichen und düsteren alten Möbeln. Bevor sie von dem ganzen ehrwürdigen Gerümpel und damit einhergehenden finanziellen Schwierigkeiten erstickt wurde, vermachte sie 1963 alles der Stadt Wetzlar. Die richtete ihr im schönen Palais Papius ein Museum ein, in dem sie mit ihrer Gefährtin die letzten Lebensjahre verbrachte. Frau Dr. von Lemmers-Danforth wäre ein eigenes Buch wert, aber hier soll nur eines wunderbaren Gegenstands gedacht werden, den ich zwischen ihren Augsburger Schränken und wuchtigen Truhen entdeckt habe. Es ist ein Bildteppich aus den Niederlanden, aus dem späten sechzehnten Jahrhundert, und er zeigt ein Stück Paradies. Das ist in vielen Religionen ein Garten. Aus dem einen wurden wir vertrieben, und in einen anderen dürfen wir, wenn wir es verdienen, dereinst wieder einziehen. Oder zurück in denselben, wer weiß.
Auf dem im Dämmer des kleinen Palais unbeachtet hängenden Wandteppich ist so ein idealischer Garten, der das Zeug zum Paradies hätte, in all seiner Pracht zu bewundern. Zu den kunsthistorisch etablierten Paradiesgartendarstellungen gehört er nicht, das macht ihn aber grade spannend. Bisher unentdeckte Paradiese sind eine Herausforderung, dieanerkannten, in denen sich schon unzählige Interpreten umgeschaut haben, lassen sich nicht mehr mit unschuldigen Augen betrachten.
Fülle und Ordnung halten sich auf dem Wandteppich in schönem Gleichgewicht, Laubengänge, Balustraden und Säulen teilen den Raum auf. In der blauen Ferne sieht man einen Wald, dahinter Berge und ein Stück Himmel, den Vordergrund bildet in zwei Bögen ein riesiger Weinstock. Menschen in festlichen Kleidern lustwandeln, Tiere begleiten sie. Zwar ist der Löwe neben dem Lamm nicht zu finden, aber jede Menge Hunde, die Pfauen und Fasane unbehelligt lassen, was ja für einen paradiesischen Zustand spricht. Nichts, was an Hatz und Jagd erinnert, ist auf diesem Teppich zu sehen, das ist selten. Jagdteppiche mit allen Stadien von Verfolgung und Tötung waren damals über die Maßen beliebt. Auf diesem Paradiesteppich scheinen alle nur gemächlich spazierenzugehen, als sei die Zeit abgeschafft. Und noch etwas ist sehr ungewöhnlich: Die Architektur besteht, wenn man genau hinschaut, aus Gemüse. Rüben werden zu Säulen, und das Rübenkraut wird zu Kapitellen. Beete erstrecken sich in die
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