Gartengeschichten
auch im bleichsten Bücherwurm wohnt ein kleiner Urmensch – muß sich dem Eisen ergeben. Der intellektuelle Gast wird sich des Themas mit um so mehr Interesse undPhantasie annehmen, je sicherer er sein kann, daß wir ihm besagtes Eisen nicht in die Hand drücken.
Ein anderer Weg, zwischen dem geliebten Garten und dem klugen Freund ein wenig Vertrautheit zu säen, ist die Sache mit der Eßbarkeit. Ich rede nicht von Johannisbeeren oder Äpfeln, daß die an Büschen und Bäumen entstehen, weiß auch der Stadtneurotiker. Der wiederum ist aber zu beeindrucken, wenn man in seiner Gegenwart Gänseblümchen, Kapuzinerkresse oder Salbei verspeist, also Dinge, die er für überflüssigen Schmuck hält. Obwohl Blumen im Essen grade Mode in feineren Lokalen sind, wird der normale intellektuelle Mann im Restaurant ein Stiefmütterchen, das auf seiner Barbarieentenbrust liegt, verwirrt entfernen. Wenn man dagegen so etwas vor seinen Augen pflückt und aufißt, wird es ihn interessieren. Der Gedanke, wieviel auf Erden ungenutzt und verkannt blüht und verwelkt, hält an einem sonnigen Nachmittag im Garten auch einer kleinen philosophischen Erwägung stand.
Allerdings muß man aufpassen, daß aus diesem neuen Wissen kein Unheil entsteht, und den neugewonnenen Experimentierer davon abhalten, samtige Eibenbeeren oder Goldregenblüten zu essen. Wie gesagt, aus dieser Art der Pflanzenerfahrung können brauchbare Gesprächsthemen erwachsen, und vom Philosophischen bis zum Toxikologischen ist dann nur noch ein kleiner, aber interessanter Schritt.
Ein Garten ist mitsamt seinem Besitzer oder seiner Liebhaberin einer Fülle von Mißverständnissen und Verdächtigungen ausgesetzt. Die Beschäftigung mit ihm sei Flucht, Rückzug, Feigheit, Resignation – ein bißchen was ist ja auch dran an diesen Verdikten. Passionierte Gärtner gelten als Menschen, die politisches Denken und Handeln aufgegeben haben. Sie kämpfen oft selbst mit dem Gefühl, weltabgewandtzu sein, spießig, des Virtuellen jeder Art nicht mächtig. Der Hinweis, die Abbildungen von Muscariblüten im Internet ließen uns die Pflanze nicht wirklich kennenlernen, stößt bei Nichtgärtnern auf herablassendes Mitgefühl. Ein Bestehen auf Authentizität, die nur vom Zusammenspiel aller Sinne hergestellt werden kann, ist vorgestrig.
Gleichzeitig hat merkwürdigerweise Garten und alles, was den Menschen ihn betreffend eingeredet wird, Hochkonjunktur. Ein Wirtschaftszweig ist er, als solcher hat er ihn als Lebensort und -notwendigkeit längst überholt. Der moderne Garten, der Herzeigegarten, lebt von der Veränderung. Alles, so suggeriert der Gartenmarkt, ist machbar. Sizilien in Niedersachsen, Kyoto an der Ostsee. Eine Million neunhundertelftausendeinhundert Möglichkeiten zur Auswahl.
Der kontemplative Garten alter Art dagegen lebt von seiner Einzigartigkeit und verändert sich nur sachte, so wie das Jahr es will und der Boden. Er ist manchmal unansehnlich und hat Zeiten des Sich-Sammelns. Und er stellt seine Bewohner auf harte Proben. Den kontemplativen Garten könnte man intellektuellen Freundinnen und Freunden sogar nahebringen, wenn man es denn schaffen würde, sich selbst zu ihm zu bekennen.
Schau, wie schön das aussieht, sagt der Gast. Laß doch das Gras wachsen. Spätestens im Juni sieht es dann wie Kuhfutter aus, antwortet man. Auch der Vorschlag, um besonders hübsche Stellen herumzumähen, gleichsam kleine Paradiesesinseln stehenzulassen, befriedigt nicht wirklich. Es sieht bedenklich nach Hundegrab aus, und wenn es dann doch abgemäht werden muß, bleibt es braun. Über was für Sachen du dir den Kopf zerbrichst, sagt der Gast. Er hält dergleichen Überlegungen für überflüssig, das sieht man ihm an. Es ist ja wahr: Man könnte in der Zeit, die man verschwendet, umsein Stück Erde zu möglichst dauerhafter Schönheit zu überlisten, Besseres tun. Dostojewski lesen, Sudoku lernen, die Steuer machen. Oder weiter nachdenken über Ordnung und Unordnung, Zwang und Freiheit, Leere und Fülle. Letztlich über schöne Lügen und häßliche Wahrheiten. Abgeblühte Tulpen zum Beispiel sind eine besonders häßliche Wahrheit. Sie rauszuschmeißen und etwas anderes hübsch Vergängliches zu pflanzen ist eine Lüge, eine Kapitulation vor den Einflüsterungen der Gartenverführer mit ihren bunten Katalogen. Man muß das Abgeblühte aushalten lernen, das hilft auch beim Blick in den Spiegel. Gut, etwas Make-up kann nicht schaden, und zwischen die Zwiebeln Calendula- oder
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