Gartengeschichten
andere, grenzen- und schutzlose Paradiesgarten. Über wenige Kunstwerke ist mehr gerätselt worden als über die drei Teile mit der Erschaffung Evas, dem Garten des Lebens auf dem Mittelstück, wie er ohne Sündenfall hätte werden können, und schließlich der wirklich furchtbaren Hölle auf dem rechten Seitenflügel. Es gibt großartige Interpretationen, Meinungen und Gegenmeinungen. Und es gibt das sichtbare und unbegreifliche Geschehen im Garten Eden und im Garten der Lüste. Die beiden sind Gärten, die Hölle ist keiner. Auf diesem Triptychon des Hieronymus Bosch, über das auch in den nächsten fünfhundert Jahren die Menschen rätseln werden, ist die Hölle aus Lärm gemacht, unter anderem. Musikinstrumente als Folterwerkzeuge, ein erst schockierender, dann einleuchtender Gedanke.
Die beiden Gärten hingegen sind von Wasser dominiert undhaben so merkwürdige Bewohner, daß der Betrachter, an keusche Paradiesgärten gewöhnt, ein anderes Schauen lernen muß. Wahrscheinlich entdeckt man erst nach Jahren wirklich alle Spielarten der Sinnlichkeit, die Bosch auf dem Mittelstück seines Triptychons versammelt hat.
Ich irrte in den ersten Tagen mit den Augen orientierungslos in dem ebenso glücklichen wie obszönen Gewimmel herum, bewunderte die Wesen, die an nichts erinnern, was man je gesehen hat, und die Erklärung, Bosch habe die damals üblichen bestiaria abgezeichnet, genügt einfach nicht. Diese Wesen sehen aus, als seien sie gern so, wie sie sind. Und manche Menschenpaare räkeln sich in einer Art Fruchtblase. Und die Erdbeeren sind groß wie Bäume. Und eine schlanke Schwarze hat eine Kirsche auf dem Kopf. In Hunderten sehr wollüstigen Formen tanzt auf dem Bild das Leben. Der Garten als Ort spielt nur eine untergeordnete Rolle. An den Wetzlarer Teppich erinnert die Vermischung von Mensch, Tier und Pflanze, ein großes Wiederzueinanderfinden, das auf unterschiedliche Weise ausgedrückt wird. Auf dem Teppich dominiert eine höfisch sanfte, kultivierte Art der Bewegung, bei Bosch ist es orgiastische Unschuld – oder eine unschuldige Orgie bis an den Jüngsten Tag, mit Geschöpfen, die sich andauernd verwandeln und andauernd Sex haben.
Vielleicht ist das ja der echte Paradiesgarten oder die größtmögliche irdische Annäherung an ihn. Der Kirche gefiel das gar nicht, wie da einer seine eigene Schöpfungsgeschichte samt Negation des Sündenfalls gemalt hat. Ein Garten der Liebe, nicht der Lüste, so haben spätere Exegeten wie Wilhelm Fraenger ihn interpretiert. Jeder kann alles sein und sich mit allem verbinden. Langsam habe ich damals in Madrid gelernt, nicht mehr mit den Blicken in diesem Garten herumzustolpern, sondern sie gemächlich schweben zulassen und mich auch an Figuren zu erinnern, die ich tags zuvor an einer anderen Stelle des Bildes gesehen hatte. Zum Schluß kam es mir so vor, als seien alle Dargestellten, auch diese merkwürdigen Blasenwesen und die Fischigen, das Riesenobst und die geilen Blumen mit den Menschen verwandt und jeder zum Vergnügen des anderen da.
Aber bis es soweit ist, kann man sich noch eine Menge paradiesischer Vorbereitung gönnen, Klostergärten und die aus ihnen hervorgegangenen Bücher zum Beispiel sind da eine ganz wunderbare Möglichkeit.
Das Paradies bedarf gesunder Bewohner, und gesund will man auch bleiben, damit man nicht schneller der himmlischen Freuden teilhaftig wird, als einem lieb ist. Deswegen haben sich Mönche und Nonnen, zu der notwendigen Arbeit fürs tägliche Brot, auch noch um das grundsätzliche Leibeswohl Gedanken gemacht. In allen Teilen Deutschlands sind wiederhergestellte oder über Jahrhunderte gepflegte Klostergärten zu bewundern, und auch ihre säkularen Varianten, die Arzneimittelgärten, zum Beispiel ein ganz neuer im Frankfurter Botanischen Garten, werden viel besucht. Wieder kann man das alte Paradiesthema Ordnung und Chaos, Dunkelheit und Helle, Gut und Böse an Gärten studieren. Was nützt, was schadet? Wieviel von etwas ist nötig, wo ist die Grenze zwischen Segen und Fluch? Über Heilpflanzen und Klostermedizin ist viel geforscht und geschrieben worden, und mit jeder neuen Natur- oder Esoterikwelle taucht das Thema wieder auf. Längst hat sich auch die Pharmaindustrie in die Kräutergevierte der klösterlichen Gärten begeben, um nachzuschauen, was sie mit Beinwell, Herbstzeitlose und Silberdistel anstellen kann. Der erste soll gegen Venenleiden, die zweite gegen Hühneraugen und die dritte gegen Hexenschuß helfen.
Ein sehr
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