Gartengeschichten
Gartenimperium England erbittert ausgefochten. Der Barock- und Rokokogarten mit seinen vielen architektonischen Elementen, seiner strengen Verspieltheit oder verspielten Strenge, seinen Teppichbeeten und Pflanzenskulpturen kommt im neunzehnten Jahrhundert in Mißkredit und wird als bloßes Kokettieren mit der Natur verunglimpft. Der Gartentheoretiker William Robinson bricht den Stab: Formale Gärten hätten überhaupt nur eine Berechtigung gehabt in Zeiten, wo Wald und Wild das Haus bedrohten. Böse Einjährige und eitle Exoten hätten in unnatürlichen Teppichbeeten den schönen Shakespeareschen und Miltonschen Stauden den Platz weggenommen. Der oberflächliche Flirt mit der Natur sollte dem Respekt vor ihr weichen. Die Streitigkeiten sind in bezug auf die Idee vom Paradies und der Sehnsucht nach ihm interessant und können wahrscheinlich auf Erden nicht endgültig entschieden werden: Wieviel Natur? Wieviel Kultur? Und was ist mit dem Übergang zwischen beidem? Ganz unwissenschaftlich gesehen, finde ich in der Darstellung auf dem Wetzlarer Teppich eine Lösung: Von beidem viel, von beidem nur das Schönste, und an den Rändern lassen wir Wald und Himmel den Vortritt.
Derselbe William Robinson, ein gelernter Gärtner, Publizist und Freund der großen Naturverteidigerin und Gartenrevolutionärin Gertrude Jekyll, sagte, der Entwerfer eines Gartens solle wie ein Maler vorgehen und der Garten solle den Maler zum Malen reizen . Dafür gibt es unzählige und wunderbare Beispiele, und manche malten sich ihr irdisches Paradies, nachdem sie eins gepflanzt hatten. Den umgekehrten Weg gab es aber auch. Der gemalte Garten hat den Rahmen als Zaun, deswegen sind bei den Impressionisten und bei denExpressionisten die Gärten oft so schön ungebärdig und platzen aus jedem formalen Konzept. Und immer wieder wird das Paradiesische auf den Prüfstand gestellt: Wieviel Chaos? Wieviel Ordnung? Wieviel Plan? Wieviel Zufall? Liebermanns Garten am Wannsee, Noldes Garten in Seebüll, Monets Giverny – da ist nirgendwo eine endgültige Antwort auf diese Fragen zu finden, sie wurde wahrscheinlich auch gar nicht gesucht. Nur die Zeit wird, grade wie im Paradies, auf den Bildern angehalten und Frühling, Sommer, Herbst oder auch der Winter für uns, die Nachgeborenen, aufgehoben.
Der Garten des Pfarrhauses in Nuenen ist das traurigste Bild von van Gogh unter den vielen traurigen, die er gemalt hat. Als gäbe es nie wieder einen Eingang ins Paradies, als wäre die Welt für immer erstarrt, ganz ohne Hoffnung. In Paradiesgärten wächst zwar immer alles zugleich, aber der Winter muß draußenbleiben.
In den gemalten Garten kann man auch flüchten. Nachdem Emil Nolde zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts von den Farben der Blumen unwiderstehlich angezogen war und glühende Bilder gemalt hatte, hörte er mit diesen Sujets auf, für eine ganze Zeit. Nach dem Malverbot durch die Nazis, das ihn um so fassungsloser machte, weil er mit ihnen durchaus sympathisiert hatte, besann er sich auf das, was ihm geblieben war. In seinen geheimen kleinen Bildern flüchtete er in die Frömmigkeit – und in den Garten.
Und Monet? Er muß ein begnadeter Gartenmacher gewesen sein und einen sehr bereitwilligen Boden vorgefunden haben. Das Grundstück in Giverny war vorher ein Obstgarten gewesen, was zur Anlage eines Paradieses sicher nicht ungeeignet ist. Überall auf der Welt, wo eine Museumswand mit seinen Teichen und Seerosen, Schwertlilien und Wisterien bedeckt ist, kann man hineingehen in dieses Malerparadies,es ist ein großer Ort aus Blau und Grün, und die Museen wissen schon Bescheid und stellen meistens ein Bänkchen für uns Gäste dorthin. Aus Farbe und Leinwand sind die Augenblicke gemacht, die verweilen können, obwohl sie so schön sind, und sie helfen gegen manche Abscheulichkeit. Vom Formalen, Architektonischen und Geordneten sind Monets Seerosengärten weit entfernt, aber immer, wenn ich ihnen begegnet bin, an ihren angestammten Orten oder anderswo unvermittelt als Leihgabe, blieben die Menschen stehen und ließen sich in das Blau und Grün ganz willenlos hineinziehen – vielleicht grade deshalb, weil sie das Paradies als Schönheit des Ineinanderfließens zeigen.
Vor einigen Jahren hatte ich in Madrid zu tun und habe nichts von der Stadt gesehen außer einem Bild, das ich jeden Tag, immer, wenn ich eine oder zwei Stunden Zeit hatte, im Prado besuchte. Mein Ziel war Hieronymus Boschs großes Triptychon Der Garten der Lüste , dieser ganz
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