Gartenreisefuehrer Normandie
Der Ruhm ist wohlverdient, und wenn man sich Zeit nimmt und nicht von den Besucherströmen irritieren lässt, hat man eine Chance, der Stimmung und den Arbeiten des impressionistischen Malers Claude Monet näherzukommen.
Die Anlage besteht aus zwei Gärten, jeder in sich stimmig vollkommen. Einer, der Blumengarten, liegt am Haus, der andere, der wesentlich berühmtere Wassergarten, auf der anderen Seite der Straße. Von einem zum anderen führt eine notwendige, schreckliche, nüchterne Fußgängerunterführung, absolut nicht im Einklang mit dem Garten; nur Stonehenge hat etwas Hässlicheres. In Giverny hat man wenigstens versucht, die Betonwände zu verzieren, aber offensichtlich ohne Einbeziehung des Hausherrn, der Akademie der Schönen Künste.
Was beide Gärten dann doch verbindet, ist das Gesamtbild, in dem Garten und Kunst sich vereinen, die einzelnen Pflanzen sind unwichtig. Was zählt, ist die künstlerische Wirkung. Hier ist ein Garten, in dem man wie in einer Galerie das Sehen lernen muss. Die Eingänge für Gruppen- und Einzelbesucher liegen getrennt. Als individueller Besucher betritt man den Garten in der Nähe des Hauses. Stehen keine oder wenige Leute an, empfiehlt es sich, das Haus zuerst anzuschauen. Vom oberen Stockwerk hat man eine wunderbare Aussicht auf den Garten, den Monet ab seinem Einzug 1883 als Blumen- und Nutzgarten gestaltete. Der rechteckige Garten, der zum Haus leicht ansteigt, ist formal angelegt, mit mittigem, breitem, grünem Laubengang, gesäumt zu beiden Seiten von einem langen Blumenbeet. Zur linken Seite liegt der Rosengarten; hier sind die Hochstammrosen besonders hervorzuheben. Zur Rechtenliegen farblich aufeinander abgestimmte Blumenbeete, oft mit einem Malkasten verglichen, und Rasenflächen mit Solitärbäumen, vor allem Zierkirschen. Hier kommt der japanische Einfluss zum Tragen. Vor dem Haus, ganz wie zu Zeiten Monets, stehen bunte Wechselpflanzen, im Sommer knallig rote Begonien, die vorm grüngestrichenen Haus noch bunter wirken. Der überwiegende Effekt ist der von Farbe, Heiterkeit und Wärme, er steht in absolutem Kontrast zum Seerosengarten.
Für mich verlangt der Wassergarten eine gewisse Frische und Ruhe, schwierig wird es, wenn man von Menschen umzingelt ist, aber irgendwann gehen sie auch weiter, und in der Lücke bis zum nächsten Pulk kommt der Garten wieder dran. Schauen Sie nicht durch die Kameralinse, gebrauchen Sie Ihre Augen, nehmen Sie sich die Zeit, von einer der Sitzbänke am Ende des Teiches gegenüber der japanischen Brücke aus die changierende Wasserfläche, den Wind in den Weiden und die Seerosen zu betrachten. Mit halbgeschlossenen Augen die Szene zu betrachten, ist wie ein persönliches Seerosenbild vor Augen zu haben. So sah Monet seinen Garten in den späten Jahren, in denen er am grauen Star litt, der 1912 auf beiden Augen diagnostiziert wurde.
Das Grundstück auf Feuchtwiesen entlang dem Bach, jenseits der Bahnlinie, jetzt Straße, hat Monet 1893 erworben, aber erst nach langem Kampf mit der Gemeinde war es möglich, Kanäle vom Bach abzuleiten, um den Teich zu speisen. Im Gegensatz zum Garten am Haus sind die Konturen hier sanft, die Wege serpentinenartig angelegt, der Blick stets von Gehölzen gerahmt. Die Farbgebung ist weich und harmonisch, überwiegend sind es Grüntöne mit Flecken von Pastelltönen. Bewegung ist wichtig im Garten, leichte Brisen, die die Hängeweiden streifen und das Wasser kräuseln, das kontinuierlich changierende Wolkenbild, reflektiert im Wasser und die Entfaltung der Seerosen. Ein Szenario, das sich wandelt und zu jeder Tages- oder Jahreszeit seinen Reiz hat. Der Garten wurde in Etappen realisiert und verfeinert, die Brücke im japanischen Stil 1895 erbaut (die Pergola kam erst 1910 dazu), und der Teich wurde 1901 um das Vierfache vergrößert. Die ersten Seerosenbilder hat Monet 1897 gemalt, und, wie man so sagt, der Rest ist Geschichte. 2008 wurde »Le Bassin aux Nymphéas«, gemalt 1919, bei Christie’s London für 40,92 Millionen britische Pfund versteigert. Monets Erbe für uns alle ist sein Garten, der dank großzügiger Spenden aus den Vereinigten Staaten Ende der siebziger Jahre restauriert und 1980 für das Publikum geöffnet wurde.
Empfohlene Jahreszeit Mai, Juni und September, Schulferien und Wochenenden vermeiden
Mindestzeit für einen Besuch 1½ Stunden
Anfahrt Öffentliche Verkehrsmittel Nach Vernon mit der Bahn, Pendelbus nach Giverny; Pkw Hervorragend beschildert, an der Autobahn einfach
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