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G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke

G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke

Titel: G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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die ganz Cleveren behaupteten, sie kämen wahrscheinlich keine zehn Kilometer weit.
    Gerade als sie zum Tunneleingang hinunterklettern wollten, kam ein weiterer Journalist an, ein spilleriges Bürschchen in voller Bergsteigermontur und mit einem Bergmannshelm, der seine Haare verbarg. Er lief zum Grüppchen der Reporter und begrüßte Peter Lugo Peller mit einem festen beidhändigen Handschlag.
    »Smuts aus North Dakota«, stellte sich der Neuankömmling vor. »Vom Fargo Spectrum.«
    »Ganz schön weit von zu Hause weg, wie?« meinte einer der Fotografen.
    »Wir versuchen, etwas kosmopolitischer zu werden«, erwiderte Smuts.
    Sie stiegen ein und marschierten los, und Peter Lugo Peller, der die Führung übernommen hatte, machte schon bald zwei alarmierende Entdeckungen: erstens, daß der Tunnel keine, wie er aus welchen Gründen auch immer angenommen hatte, schnurgerade, ebene Strecke von Punkt A nach Punkt B darstellte, sondern einen mehr als alpinen Verlauf nahm und zwecks Unterquerung von Flüssen und anderen Oberflächenhindernissen zum Teil vierzig, fünfzig Meter abrupt in die Tiefe stürzte und anschließend ebenso steil wieder anstieg; und zweitens, daß er schon Wasser führte. Stellenweise genug Wasser, um darin zu ertrinken oder zumindest um sich seine Fußbekleidung zu ruinieren - und Peller hatte für den Spaziergang sein bestes Paar Schuhe angezogen. Nach einer kurzen Lagebesprechung beschlossen die unerschrockenen Zeitungsleute, die Wanderung oberirdisch fortzusetzen, was sie auch einen ganzen Tag lang taten, bevor sie endgültig aufgaben.
    Niemandem fiel auf, daß Smuts nicht wieder aus dem Tunnel herausgekommen war.
    Am 25. Januar sichteten zwei am High View Reservoir in Yonkers beschäftigte Caissonarbeiter als erste die feuchte, zerschrammte, aber äußerst mit sich zufriedene Gestalt, die mit einem zerbeulten Bergmannshelm auf dem Kopf aus den Eingeweiden der Erde kletterte. Einer der Arbeiter hatte am Abend zuvor in einem Jonglierwettbewerb einen Silberdollar gewonnen und ließ ihn gerade in der offenen Hand hüpfen, hielt aber beim Anblick von Smuts, der ganz und gar nicht wie etwas aussah, was im Staubecken etwas zu suchen hatte, inne.
    »Wer sind Sie?« fragte der Jongleur auf italienisch. Sein Kollege, der leidlich Englisch sprach, übersetzte: »Wer zum Teufel sind Sie, Scheiße noch eins?«
    »Nur eine lustwandelnde Dame«, erwiderte Smuts. Sie nahm den Helm ab und ließ eine Flut von langem braunem Haar herabwallen - eine Geste, die das erst elfjährige Hollywood noch nicht zu einem Klischee hatte machen können. »Unterwegs nach Fiatbush.«
    Der Jongleur war wie vom Donner gerührt; sein Kollege, der von Hause aus Maria hieß, aber das Leben in Arbeitshemd und -hose weitaus unkomplizierter fand, gestattete sich ein zurückhaltendes Grinsen. Smuts zwinkerte ihr heimlich-vertraulich zu, tippte dann mit dem Finger auf die Silbermünze.
    »Hey«, sagte sie, »ge'm Se das her.«
    Der Jongleur, der diesen Imperativ auch ohne Ubersetzung verstand, schloß die Hand um die blanke Siegestrophäe. »Warum sollte ich?«
    »Weil«, erwiderte Smuts in dessen Muttersprache, »ich's mir grad verdient hab.«
2023: Waldesel auf dem Holzweg
    Einhundertundneun Jahre später saß eine Frau namens Lexa Thatcher in einer Dachgeschoßwohnung in Brooklyn - New Bedford-Stuyvesant, zwar nicht direkt in Fiatbush, aber nicht weit davon entfernt - und drehte denselben Silberdollar zwischen den Fingern. Die Münze war über fünf Generationen von Müttern an Töchter weitergereicht worden, und obwohl die Prägung mittlerweile auf beiden Seiten fast völlig abgerieben war, hatte sich der wagemutige Geist, der das matrilineare Geschlecht der Smuts-Hollings-Thatchers beseelte, bis heute erhalten. Lexas Mutter war in Nordafrika auf Abenteuersuche gegangen, wo sie ganz allein die Sahara von Timbuktu bis Marra-kesch zu Fuß durchquert hatte. Ostlich von Casablanca, in den Ausläufern des Mittleren Atlas, hatte sie einen beduinischen Gebrauchtwagenhändler - oder vielleicht auch eine ganze Niederlassung davon, in dem Punkt hatte sie sich nie präzise geäußert - verführt und vergewaltigt, mit dem Resultat, daß Lexas Hände, die gerade mit der Münze spielten, einen warmen Bronzeton hatten, ihr Herz und Kopf aber einen knallharten Sinn fürs Machbare.
    Lexas Arbeitszimmer enthielt einen Schreibtisch, einen Computer mit zahlreichen Peripheriegeräten (darunter auch ein paar, über die nur gute Freunde von Morris Kazenstein

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