Gassen der Nacht
vor.
Kein Licht brannte. Schatten füllten den kleinen Raum aus. Vor sich sah er die hellgrün gestrichene Tür zum Wohnraum, wo sich Paula Devine zumeist aufhielt.
Auch jetzt?
Wieder lauschte er, ohne etwas zu hören. Die Stille war sehr tief, unnatürlich und intensiv.
Er wollte Bescheid wissen, holte tief Luft und rief nach ihr.
»Paula…«
Sie gab keine Antwort.
Er versuchte es noch einmal. Diesmal etwas lauter. »Paula, wo sind Sie, verdammt…?«
Wieder nichts.
Sie war da. Er wußte es, ohne sie gesehen zu haben. Das war sein gut entwickelter Instinkt, der ihm dies sagte, und er rechnete auch damit, daß sie nichts mehr sagen konnte.
Tote schwiegen für immer…
Ray Ralston mußte Gewißheit haben. Er öffnete die Tür zu Wohn-Schlafraum. Das häßliche Quietschen erzeugte bei ihm eine Gänsehaut. Irgendwo draußen hörte er das grelle Signal einer Hupe. Für ihn schien es aus einer anderen Welt zu stammen.
Sein Blickwinkel erweiterte sich, je mehr die Tür nach innen schwang. Er konnte jetzt ins Zimmer hineinschauen - und sah nichts. Keine Spur von Paula Devine. Doch der Durchzug, die kalte Luft streifte sein Gesicht.
Das Fenster lag rechts von ihm. Er hatte damit gerechnet, es offen zu sehen. Ja, es war auch offen, nur anders, als er es sich vorgestellt hatte. Jemand hatte es zerstört.
Der Fluch blieb ihm im Hals stecken, als er das scharfe Atmen von der rechten Seite her hörte.
Er drehte den Kopf.
Bisher hatte Paula Devine im Schatten gestanden. Nun schob sie sich vor, ihr Gesicht glich einer dieser japanischen weißen Masken, weit offen stand nur der Mund.
Den sah der Inspektor nicht.
Viel schlimmer war das Messer in ihrer Hand, diese wahnsinnig gefährliche Klinge, die ein schmales Dreieck bildete, das blitzschnell auf ihn niederraste…
Ray Ralston wußte selbst nicht, wie er es geschafft hatte, dem tödlichen Stoß zu entgehen. Irgendwie war es ihm gelungen, sich zur Seite zu werfen, und die mörderische Klinge wischte an ihm vorbei, traf die Wand, an der sie entlangschleuderte und mit einem häßlichen Geräusch die Tapete aufriß.
Er hörte das Weinen und Fluchen zugleich. Die Frau schnellte wieder hoch, um einen zweiten Angriff zu versuchen, diesmal aber war er schneller.
Ralston schlug mit dem Waffenlauf zu. Er hämmerte ihn gegen den Nacken der Paula Devine, mit einem zweiten Schlag traf er ihre Schultern, hörte sie stöhnen und sah, wie sie zusammenbrach. Ihren Mund hatte sie weit aufgerissen, an das Messer dachte sie nicht mehr. Die rechte Hand lag dicht neben ihrem Körper, als würde sie nicht dazugehören. Sie hatte nur Angst davor, daß Ralston noch einmal zuschlagen würde.
Die Furcht war nicht unbegründet, denn er stand vor ihr wie ein böser Rächer. Leicht geduckt, die Mündung auf Paulas Kopf gerichtet. Sie wanderte erst weiter, als er sah, wie die Frau das Messer losließ. Er kickte dagegen und trat es unter den Tisch.
Tief atmete er durch, ohne sich jedoch beruhigen zu können. Der Schock saß noch zu tief. Er hatte große Mühe, nicht zu zittern, und die Gänsehaut auf seinem Körper blieb.
»Sie wollten mich killen!« keuchte er. »Verdammt, warum haben Sie das getan?«
Paula Devine schaute ihn an. Als er den Blick ihrer Augen sah, war ihm klar, daß er keine Antwort erwarten konnte. Sie war viel zu weit weg, sie stand unter einem fremden Einfluß, etwas hielt sie fest und würde sie nie mehr loslassen.
»Warum?« brüllte er trotzdem.
Paula zitterte. Es blieb auch dabei, als sie den Kopf senkte und anfing zu weinen. Langsam kippte sie zur Seite, zog die Beine an und blieb gekrümmt auf dem Boden liegen.
Ray trat einen Schritt zurück. Durch seinen Kopf schoß nur ein Gedanke, als er sich umdrehte und zum offenen, aber zerstörten Fenster schaute. Das Viereck schien ihn zu verhöhnen. Es war Ein-und Ausgang zugleich. Aber nicht für ihn oder Paula, sondern für die Bestie, die in dieser Nacht wieder unterwegs war.
Paula mußte sie gesehen haben. Weshalb sonst hatte sie derartig schrill geschrien?
Bestimmt war die Bestie einfach hier aufgetaucht, um ihr Zeichen zu setzen. Sie wollte durch Paula Devine die Falle zuschnappen lassen. Semerias hatte sie beeinflußt und dafür gesorgt, daß sie zu dieser schrecklichen Waffe griff.
Er ging zum Fenster. Glassplitter zerknirschten unter seinen Tritten. Aus den Scherben wurden Krümel.
Er schaute über die nahen Dächer hinweg, er sah den Mond und den grauen Nachthimmel.
Aber er entdeckte keinen
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