Gassen der Nacht
Werwolf.
Ralston drehte sich wieder um. Paula hatte ihre Haltung verändert. Sie war dabei, sich aufzurichten, und sie tat es mit Bewegungen wie jemand, der wegkriechen wollte, es aber nicht konnte. Sie blieb auf dem Boden hocken, ihren Rücken lehnte sie gegen die Wand, den Kopf hielt sie gesenkt und schaute nicht einmal hoch, als sie die Schritte des Polizisten vernahm.
Vor ihr blieb er stehen. »Sie wissen, daß Sie mich töten wollten, Paula?«
»Ja«, flüsterte sie mit kaum hörbarer Stimme.
»Warum?«
Sie schwieg.
»Warum haben Sie das getan, Paula. Bin ich Ihr Feind? Hatten Sie einen Grund?«
»Er sagte es…«
»Der Werwolf?« Sie nickte. Es dauerte eine Weile, bis Ralston Paula Devine so weit hatte, daß sie einigermaßen normal reden konnte. Auch dann noch sprach sie mit stockender Stimme, denn die Angst vor der Bestie war einfach stärker als der Wille, Ralston zu helfen, sie zu fangen.
Fragmentweise erfuhr Ralston, was sich in dieser kleinen Wohnung abgespielt hatte. »Und warum nahmen Sie das Messer, Paula?«
»Der Mond«, flüsterte sie und beugte ihren Kopf dabei vor. »Es war nur seine Kraft. Sie hat mich beeinflußt. Der Vollmond ist schlimm. Er leuchtet in die Gassen und bringt die Angst. Aber Angst bedeutet gleichzeitig auch Grauen und Tod. Ich habe es erlebt, und ich will es nie mehr erleben.«
Sie fing wieder an zu weinen. Ralston konnte mit ihr nichts anfangen, doch er benötigte weitere Informationen. Er fühlte sich besser, seit er dieser hinterlistigen Falle entgangen war. Zudem stand er nicht allein. Er mußte versuchen, John Sinclair zu holen und gemeinsam mit ihm die Jagd auf Semerias zu eröffnen.
Er ging langsam zur Tür und sah dabei aus, als würde er über glatte Schmierseife schreiten. Bevor er die Wohnung verließ, drehte er sich noch einmal um.
Paula schaute ihm aus großen Augen nach. »Wo wollen Sie denn hin?« hauchte sie.
»Ich muß einen Mörder stellen.«
»Ihn?«
Mehr hatte sie nicht gefragt. Ralston war trotzdem klar, wen sie damit meinte. »Ja, ihn.«
»Aber er wird Sie zerreißen. Er hat die Macht. Er hat mich dazu gebracht, Sie zu toten. Er ist - er ist zusammen mit dem Mond unbesiegbar.«
Ray schüttelte den Kopf. »Niemand ist unbesiegbar, Paula. Niemand darf unbesiegbar sein. Aber da wir gerade von ihm sprechen, möchte ich sie fragen, ob Sie vielleicht wissen, wo ich ihn finden kann. Hat er Ihnen gesagt, wo er hinwollte?«
»Nein, das ist…« Sie stand plötzlich auf, hatte aber Mühe das Gleichgewicht zu halten. »Er ist überall«, sagte sie mit stotternd leiser Stimme.
»Das geht nicht.«
»Das hier ist sein Revier. Ich habe versagt. Sie leben noch! Wenn er zurückkommt, wird er mich vernichten. Da habe ich keine Chance mehr. Ich bin eine Versagerin, das wird er mir nie verzeihen, glauben Sie mir. Niemals…«
Ralston winkte ab. »Wollte er denn zurückkehren?«
»Ja, aber…«
»Wann?«
»Ich weiß es nicht.« Paula drehte den Kopf. Durch das offene Fenster schaute sie auf den Mond. Dabei schauderte sie zusammen. Die gelbe Scheibe war klar und deutlich. Sie sah schon regelrecht künstlich aus, und sie sorgte durch ihre Strahlen für die schreckliche Beeinflussung der Menschen.
»Nach dem Untergang des Mondes etwa?« Ralston versuchte es erneut.
»Das kann sein.«
»Sie wissen es nicht genau.«
»Richtig.«
Ralston räusperte sich. Für einen Moment war er ratlos. Er wußte nicht so recht, wie und wo er beginnen sollte. Er dachte scharf nach. Auf seiner Stirn stand der Schweiß in dicken Tropfen. Er hatte sich vorgenommen, in den Gassen des Viertels Wache zu halten und die Angst zurückzudrängen. Daran zweifelte er nun. War das überhaupt zu schaffen? Hatte es noch Sinn, den Plan durchzuführen?
Davon war er nicht mehr überzeugt. Wenn sich die Bestie versteckt hielt, konnte er suchen, so lange er wollte. Er würde sie nie und nimmer finden. Sie war ihm stets voraus!
Und Sinclair? Er war im Laden des Ermordeten zurückgeblieben. Dort wollte er auf den Inspektor und auf die Bestie warten. Möglicherweise hatte er das Richtige getan. Denn im Laden befand sich der Spiegel, mit dem Semerias in einer direkten Verbindung stand. Durch ihn war er auf diese Welt gelangt, zu ihm zog es ihn wieder hin.
»Was wollen Sie tun?« fragte Paula, die gemerkt hatte, wie scharf der Mann nachdachte.
Ray zeigte ein Lächeln. »Ich werde Sie jetzt allein lassen, Paula. Ich denke nicht, daß er noch einmal erscheint.«
»Doch!« schrie sie. »Er wird
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