Gassen der Nacht
eine andere Funktion erfüllen, aber sie konnte sich noch immer nicht vorstellen, was diese Bestie genau von ihr wollte.
Die Frau berührte den Griff.
Sofort zuckten ihre Finger wieder zurück. Er kam ihr vor, als wäre er brandheiß geworden.
»Nimm…«
Sie nickte. »Ja, ja, ich werde ihn nehmen! Aber dann? Was soll ich dann tun?«
»Falle stellen und töten!«
Wieder brannte die Flamme in ihrem Innern. Was ihr diese Bestie da gesagt hatte, bedeutete nichts anderes, als einen Mord zu begehen. Sie sollte das Messer nehmen und jemanden umbringen.
Paula rührte sich nicht. Nur atmen konnte sie, ansonsten war sie starr und hielt ihren Blick auf das Gesicht gerichtet, als wolle sie es genau analysieren, »Töten…«
»Wen denn?« Es brach aus ihr hervor wie der Lavastrom aus einem Vulkan. Sie konnte nicht anders, sie mußte einfach schreien, und die Bestie tat nichts.
Sie wartete so lange, bis sich die Frau beruhigt hatte und mit tief gesenktem Kopf auf der Couch hockte, wobei ihr Mund offen stand und Speichel über die Unterlippe tropfte. Genau dieser leere Gesichtsausdruck paßte zu ihrem äußeren Erscheinungsbild.
»Der Mann, der bei dir war!«
Die Bestie hatte den Befehl zusammenhängend gegeben, und Paula hatte ihn auch verstanden. Trotzdem wiederholte sie ihn im stillen einige Male, erst dann wurde ihr die ganze Tragweite dessen bewußt.
»Der Mann, der bei mir war«, wiederholte sie stockend und flüsternd.
»Der Mann, der bei mir war.«
»Ja!«
»Er - er - ist…« Sie holte tief Luft. »Verdammt noch mal, er ist ein Polizist!«
»Das weiß ich!«
»Aber er ist weg!« schrie sie.
»Du wirst ihn holen!« Je mehr er redete, um so fließender brachte er die Worte hervor, auch wenn noch jedes von einem Zischen begleitet war. Paula Devine holte tief Luft. Vor ihren Augen sah sie das Gesicht des Polizisten, und sie erinnerte sich sehr deutlich daran, wie besorgt der Mann um sie gewesen war.
Den sollte sie töten?
Niemals!
»Wenn nicht, dann stirbst du. Dann zersteche ich dich wie den Mann im Laden!«
Brutale Worte, aber sie hatte keinen Grund, daran zu zweifeln. Ihr Körper fror ein. Als Paula den Kopf zur Seite drehte, um die Bestie anzuschauen, da hatte sie den Eindruck, als würde die dünne Eisschicht auf ihrem Rücken allmählich brechen.
»Nun?«
»Er ist nicht hier«, hauchte sie, in der Hoffnung, damit einen Ausweg gefunden zu haben.
Die Bestie beugte sich zu Paula hinab. Für eine Sekunde schoß ihr der Gedanke durch den Kopf, es zu versuchen. Die Waffe zu packen und sie in das Fell zu rammen.
Sie ließ es bleiben.
Die Angst war einfach zu groß. Sie drückte wie eine Tonne Eisen auf ihren Körper nieder. »Ich weiß nicht, wo er hingegangen ist«, wiederholte sie.
»Er ist nicht weit weg. Er wird immer in der Nähe bleiben. Du brauchst dich nur ans Fenster zu stellen, und zu schreien. Brülle seinen Namen in die Nacht hinein!«
»Andere werden es hören.«
»Er soll es hören!«
Paula nickte, denn sie erinnerte sich daran, was ihr der Inspektor zum Abschluß gesagt hatte.
Er würde sich nicht weit von ihrem Haus entfernen. Auch wenn er sich in einer anderen Straße aufhielt, ein Schrei war in der Stille der Nacht sehr weit zu hören. Da brauchte sie gar nicht mal so laut zu brüllen. Die Bestie hatte an alles gedacht.
Semerias trat einen Schritt zurück und machte ihr Platz. Sehr langsam drehte sich Paula. Dabei fiel ihr noch eine Frage ein, die sie auch sofort stellte. »Woher kommst du?«
»Von weit her!«
»Wo…?«
»Atlantis!«
Sie hob die Schultern. Mit dieser Antwort konnte sie nicht viel anfangen. Außerdem fühlte sie sich nicht in der Lage, jetzt über die einzelnen Länder auf dem Globus nachzudenken.
Mit weichen Knien ging sie auf das zerstörte Fenster zu und blieb dicht davor stehen.
Der kühle Wind fächelte ihr Gesicht. Er kühlte ihre erhitzte Haut ab.
»Jetzt schrei!«
Und sie brüllte ihre Furcht in einem langen schrillen Schrei hinaus in die Nacht.
Ray Ralston hörte den Schrei und zuckte zusammen, als hätte ihn eine Glasscherbe in den Hals gestochen.
In der Tat hielt er sich nicht weit vom Haus der Paula Devine auf, nur eine Gasse weiter, die parallel zu der lag, in der die Frau ihre Wohnung hatte.
Es hatte sich bisher nichts Verdächtiges ereignet, alles war ruhig geblieben, einfach zu ruhig.
Schon gefährlich ruhig…
Ray Ralston war kein Naivling. Er konnte die Zeichen deuten, obwohl äußerlich nichts zu sehen war, denn die Gassen
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