Gast im Weltraum
waren. Dann hatte ich den Plan, mich als blinder Passagier in eines der Weltraumschiffe zu schmuggeln, das zu einer Reise an die Grenzen unseres Sonnensystems startete. Hinter der Marsbahn wollte ich meine Anwesenheit an Bord verraten. Ich war felsenfest überzeugt, daß der durch meine flammende Begeisterung gerührte Expeditionsleiter mich zunächst zu seinem Assistenten machte. Ich bereitete sogar eine entsprechende Rede mit einigen Varianten vor, die ich je nach den gegebenen Umständen halten wollte. Alle diese Projekte, obwohl sie Phantasiegebilde blieben, raubten mir eine Menge Zeit. Ich verschlang ganze Stöße kosmischer Erzählungen und vernachlässigte meine Schularbeit. Wenn ich bei Tisch durch eine Frage aus meiner kosmischen Traumversunkenheit gerissen wurde, gab ich gewöhnlich zerstreute Antworten. Nicht die leiseste Ahnung tauchte in mir auf, daß meine herzensgute Großmutter mein Verhalten einem anderen als dem wahren Grunde zuschreiben könnte. Mein starrer Blick, wenn ich mit halb erhobenem Löffel dasaß, meine geringen Fortschritte beim Lernen, die Menschenscheu – das alles waren in ihren Augen die untrüglichen Anzeichen für das Erwachen und Heranreifen einer großen künstlerischen Begabung. Voll der besten Hoffnungen schenkte sie mir zu meinem Geburtstag einen schönen, weißen Genetophor, auf dem sie selbst manchmal mit einem Finger gespielt hatte. Ich versuchte auf ihm meine schöpferischen Talente. Erstens wollte ich meiner Großmutter eine Freude bereiten, und zweitens interessierte mich die Videoplastik wirklich. Diese Kunst ist einige hundert Jahre alt, sie ist eine Kombination des sogenannten Films, der Schriftstellerei und des plastischen, farbigen Fernsehens. Mit Hilfe eines solchen Genetophors, der für Künstler das gleiche ist wie das Klavier für den Komponisten, kann man alles schaffen, was sich nur denken läßt: Dramen und Komödien, wahre Geschichten von verschiedenen Personen und Dichtungen, die in fiktiven Welten spielen. Mit diesem Apparat ist man imstande, Wesen, die halb Pflanzen, halb Tiere sind, durch die Überlagerung der Lichtfelder, die beim Spiel auf dem Genetophor entstehen, zu komponieren – ja, zu komponieren! Das scheint mir der geeigneteste Ausdruck zu sein. Die ersten Versuche bereiteten mir viel Vergnügen. Ich schloß mich in mein Zimmer ein, setzte mich vor den breiten Bildschirm, legte die Hände auf die vielreihige Klaviatur, drückte einige Dutzend Tasten nieder und schaltete den Auslöser ein. Auf dem bisher leeren Glas des Bildschirmes erschien die von mir geschaffene Gestalt. Und nicht allein das löste einen eigenartigen Schock aus, sondern vor allem die Tatsache, daß diese Gestalt eine gewisse, wenn auch vorerst begrenzte Unabhängigkeit besaß. Sie bewegte sich, ging hin und her, als tastete sie den Raum ab, der sie einengte. Allerdings wies sie gewöhnlich einige ernsthafte Mängel auf – Dissonanzen, hätte ein Künstler gesagt. Ich entfernte sie also mit einem Druck auf die Pedale aus dem Bildschirm und begann mit neuen Versuchen.
Jeder Anfänger verdirbt natürlich eine ganze Reihe von Gestalten, ich aber schlug in dieser Hinsicht jeden Rekord und muß gestehen, daß meine Geschöpfe mir scharenweise, drohend, racheschnaubend im Traum erschienen, weil ich sie ungeschickt und unüberlegt ins Leben gerufen und ebenso brutal wieder aus diesem vorübergehenden Dasein gerissen hatte. Die Videoplastik gleicht der Kunst des Altertums. Der Apparat ist sozusagen eine vervollkommnete Palette und Feder. War man mit seiner Konstruktion und Wirkungsweise vertraut, dann ähnelte der Adept dieser Kunst einem zünftigen Schriftsteller des Mittelalters, der die Rechtschreibung und die Grammatik beherrscht. Glücklicher gewählt ist vielleicht der Vergleich der Videoplastik mit dem Musikschaffen. Wie der Komponist die Töne, so stimmt der Videoplastiker verschiedene psychische Merkmale aufeinander ab. Im ersten Falle entsteht eine Melodie, im zweiten formt sich der Held des Dramas. Darin liegt, glaube ich, die größte Ähnlichkeit. Ein Komponist, der aus einer tatsächlichen Begebenheit ein sinfonisches Thema schöpft, hört beim Komponieren der Orchesterstimmen in seiner Einbildungskraft den Zusammenklang aller Instrumente, bevor er auch nur eine Note in das Fünfliniensystem setzt. Ebenso schafft der Videoplastiker den schwierigsten, den schöpferischen Teil seines Werkes, bevor er die erste Taste des Genetophors niederdrückt, das heißt, bevor er
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