Gast im Weltraum
beginnt, in seiner Phantasie seine Helden und ihre Geschicke zu gestalten. Nur dann können Gestalten und dramatische Entwicklungen entstehen, die sich dem Willen ihres Schöpfers beugen und den Zuschauer durch die Verflechtung ihrer Geschicke erschüttern. Das kann aber niemand lernen, keiner kann es andere lehren. Die Gewandtheit in der Bedienung des Apparates reicht aus, bewegliche Puppen und eine bizarre, unheimliche, unwirkliche Szenerie zu schaffen. Ich habe niemals mehr fertiggebracht.
Mancher, der diese Kunst studiert, braucht Jahre, bevor er begreift, wie trügerisch der Wahn schöpferischer Allmacht ist, mit der die Videoplastik ihn verlockte, und zu welch großer Lüge und Enttäuschung sie wird, wenn er die wirklichen irdischen Geschicke für phantastische Schwärmereien von möglichen Existenzen hingegeben hat. Zum Glück lag der vollständige Mangel an Talent bei mir so offen zutage, daß ich selbst nicht einen Augenblick ernstlich daran dachte, Videoplastiker zu werden. Meine künstlerischen Versuche endeten damit, daß ich den Genetophor in seine Bestandteile zerlegte, da ich seine Konstruktion kennenlernen wollte. Meine arme Großmutter erlebte, als sie das eine und das andere Ergebnis meiner Bemühungen sah, die letzte bittere Enttäuschung; denn nun gab es keinen mehr in der Familie, bei dem sie auf Erfüllung ihrer lang gehegten Hoffnungen rechnen konnte.
In der Regel verbringt ein junger Mann, der die Reifeprüfung abgelegt hat, einige Monate in verschiedenen, nach Belieben gewählten Lehranstalten und Universitäten, um dort im Kreise der Wissenschaftler, Ingenieure oder Techniker und im Verkehr mit ihnen seine Neigungen und Fähigkeiten kennenzulernen.
Als ich mein siebzehntes Lebensjahr vollendet hatte, schwankte ich lange; ich wußte nicht recht, was ich beginnen sollte. Endlich entschloß ich mich, in die Zweigstelle des Institutes für Zukunftsplanung in Meoria einzutreten, das kurz IZP genannt wird. Hier kam ich zum erstenmal mit Menschen zusammen, die an den Plänen der Weltraumexpedition arbeiteten.
Damals waren die praktischen Möglichkeiten einer solchen Forschungsreise noch nicht genügend untersucht, das heißt, die Geschwindigkeit, die notwendig war, um die Entfernung zwischen der Erde und den fernen Sternen in der Zeit eines Menschenlebens zu bewältigen, war noch nicht erprobt. Ihr erinnert euch gewiß der erbitterten, hartnäckigen Diskussionen zu Beginn unseres Jahrhunderts über den Bau von Weltraumschiffen, die zum Flug in die Weiten der Milchstraße geeignet schienen.
Wegen der unerhört langen Reisedauer sollte in der Rakete ein sogenannter Wechsel der Generationen stattfinden. Das Ziel würden also die Enkel, vielleicht sogar erst die Urenkel jener Menschen erreichen, die die Erde verlassen hatten, um zu diesen fernen Welten zu gelangen. Diese Lösung des Problems wurde damals für die einzig mögliche gehalten. Sie entfesselte einen allgemeinen heftigen Sturm von Einwendungen. In dem Gedanken, Hunderte von Jahren in einer in den Raum geschleuderten Metallhülse vegetieren zu müssen, lag etwas ungemein Bedrückendes, Erniedrigendes und Menschenunwürdiges. Doch außer diesen rein gefühlsmäßigen Ein wänden waren verstandesbedingte Überlegungen maßgebend. Man sagte mit Recht: „Was wird aus den Menschen werden, die jahrzehntelang in der Leere des Weltraumes leben müssen, wie werden sie sich entwickeln? Wie groß ist die Gefahr eines Zusammenbruches, einer Beugung des Charakters, einer moralischen und geistigen Verkümmerung! Wie erniedrigend wäre im Grunde die Insektenrolle für, diese mittleren‘ Generationen, die ihr ganzes Leben, von der Geburt bis zum Tode, in der Rakete verbringen müßten! Was für Erzieher, Lehrer und Beschützer wären die Menschen, die unter solchen Verhältnissen lebten, für jene, die das Ziel der Reise, das nächste Sonnensystem, erreichten?“
„Das ist alles richtig“, entgegneten die anderen. „Die Schwierigkeiten, Mühen und Gefahren einer solchen Reise sind unvorstellbar groß. Trotzdem ist der Flug zu den Sternen eine unabdingbare Notwendigkeit. Wir beherrschen unser Sonnensystem, wir haben die nächsten und in der zweiten Hälfte des dritten Jahrtausends die fernen Planeten bewohnbar gemacht und besiedelt. Nun muß ein neuer Schritt getan werden: die Überquerung des Ozeans der Leere, der uns von den anderen Sonnensystemen trennt. Diese Expedition verzögert sich vielleicht einige Jahre; aber sie kommt, weil sie kommen
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