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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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muß. Resignieren bedeutet Stillstand, und Stillstand bedeutet in einigen Jahrhunderten Tod, Untergang der menschlichen Zivilisation.“
    Neue Atomtreibstoffe und die Entdeckung neuer Methoden der Befreiung der Atomenergie aus jedem Stoff ermöglichten die technische Lösung des Problems, mit Geschwindigkeiten von 100000 bis 200000 Kilometern in der Sekunde zu fliegen. Die Optimisten nahmen an, daß sich diese Frage verhältnismäßig leicht im Raum selbst, in beträchtlicher Entfernung von den Gravitationsfeldern der Planeten lösen lasse, wenn die Rakete allmählich ihren Flug beschleunige. Sie erinnerten an die im Altertum geltenden Theorien, daß der Mensch bei Geschwindigkeiten von 30, 100, 1000 Kilometern in der Stunde die Grenze seiner biologischen Widerstandskraft erreiche. Diese kritischen Grenzen hatten sich von Jahrhundert zu Jahrhundert unaufhörlich weiter hinausgeschoben, ohne daß es dem Menschen geschadet hätte.
    Die Vorsichtigen wiesen auf die Tatsache hin, daß sich bei Geschwindigkeiten, die sich der des Lichts nähern, bestimmte Konsequenzen der Relativitätstheorie zeigen, deren Einfluß auf die Lebensprozesse noch unbekannt war. Nur Erfahrungswerte konnten diese Zweifel zerstreuen.
    So entstanden überall auf der Erde die Zentren für Lichtgeschwindigkeit, und auf vielen Planeten wurden Nebenstellen des Instituts für Zukunftsplanung eingerichtet. Im Laufe der Untersuchungen und Experimente trat eine geheimnisvolle Erscheinung auf, das sogenannte Bewußtseinsflimmern, das darauf beruhte, daß der in einer Rakete eingeschlossene Mensch, sobald diese eine Geschwindigkeit von 170000 bis 180000 Kilometern in der Sekunde erreichte, einer eigentümlichen Sinnestrübung unterlag, bei einer weiteren Beschleunigung bewußtlos wurde und schließlich in Lebensgefahr geriet. Die Geschwindigkeit von 170000 Kilometern in der Sekunde bezeichnete man als die kritische Unterlichtgeschwindigkeit, und mit ihr sollte das Raumschiff zu den erdnächsten Sonnensystemen fliegen.
    Das war der Stand der Forschungen zu jener Zeit, als ich zum ersten Male mit dem Kollektiv des IZP in Berührung kam.
    Berauscht und begeistert von den Perspektiven, die die Arbeiten dieser Menschen auch mir eröffneten, beschloß ich, mich um die Aufnahme in das Institut zu bewerben. Hierfür war aber erforderlich, das Studium der Mechanoeuristik, der Kosmodromie oder der Medizin beendet zu haben. Nach einigem Überlegen entschied ich mich für das Studium am Institut für allgemeine Mechanoeuristik in Meoria, das durch seine hervorragenden Traditionen berühmt war.
    Ich machte ganz gute Fortschritte, aber bereits nach einem Jahr bedauerte ich diesen Entschluß, da das Fach nichts mit der geliebten Astronautik zu tun hatte. Deshalb belegte ich zusätzlich das Fach Kosmodromie. Da ich von der Spannweite meiner wissenschaftlichen Ambitionen und Pläne noch immer nicht befriedigt war, erweiterte ich sie dadurch, daß ich mich in Meoria mit den Geheimnissen der Automatenkonstruktion beschäftigte und darüber hinaus die Vorlesungen über Kosmonautik auf der Universität hörte, die am Fuße des Mond-Apennins gelegen war, obgleich ich mit Leichtigkeit eine der Lehranstalten auf der Erde hätte besuchen können. Doch allein die Tatsache, daß ich Tag für Tag zum Mond flog, hob mein Selbstbewußtsein und machte mich in meinen Augen zu etwas Besonderem.
    Zwei Stunden täglich verbrachte ich in einer Rakete. Nur dort fand ich Zeit, etwas zu mir zu nehmen. Das war natürlich der reinste Wahnsinn. Ich aß und schlief nicht richtig und quälte mich mit dem Riesenmaß der übernommenen Pflichten. Trotzdem fühlte ich mich wohl dabei und kann an diese Jahre nicht ohne ein stilles Lächeln zurückdenken. Ich hielt mich für außerordentlich vielseitig und – vor allem – geheimnisvoll; denn ich sorgte dafür, daß meine Umgebung auf dem Mond nichts von den Studien in Grönland erfuhr, und umgekehrt.
    So vergingen zwei Jahre. Als ich die Unterstufe der Mechanoeuristik beendet hatte, legte ich eine befriedigende Prüfung über die Theorie des Raketenfluges ab und kehrte nach Hause zurück, um dort meine Ferien zu verbringen. Am späten Abend traf ich mit dem Flugzeug ein. Meine Mutter sagte, ich hätte meinen Vater verfehlt, der gerade zu einer Operation gerufen worden sei, und ging gleich wieder zu Bett. Ich saß noch lange auf der Veranda und blickte den Sternschnuppenschwärmen nach, die vom Julihimmel fielen. Von Zeit zu Zeit schoß ihnen eine

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