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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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war es dadurch entstanden, daß die biophysischen Laboratorien im Laufe der letzten Monate die besten Physiker, Mathematiker und Chemiker der Gea zur Mitarbeit herangezogen hatten. Die Kollegen Goobars widersprachen dem Geschwätz über eine Entdeckung, und es war schwer, ihnen keinen Glauben zu schenken; denn sie hatten keinen Anlaß, mit der Wahrheit hinter dem Berg zu halten. Aber ungeachtet aller Dementis lebte das Gerücht in neuer Form auf und bildete den Gegenstand erregter, leidenschaftlicher Diskussionen.
    Goobar selbst schwieg. Ob das hartnäckige Gerücht zu ihm gedrungen war, ließ sich nicht feststellen. Vielleicht beachtete er es nicht, da er von seiner Arbeit voll in Anspruch genommen war.
    Am letzten kalendermäßigen Frühlingstag besuchte ich noch am späten Abend ein Konzert. Als ich den Saal betrat, erlosch gerade das Licht. Ich setzte mich rasch auf den nächstbesten freien Platz in der letzten Reihe. Neben mir saßen Ruys und Goobar. Der Gelehrte schien seit der Zeit, als ich ihn das letztemal gesehen hatte, gealtert zu sein. Sein Gesicht war blaß und eingefallen, wie das Gesicht eines Menschen, der sich ständig in einem geschlossenen Raum aufhält. Ein dichtes Netz feiner Äderchen durchzog seine zuckenden Lider. Er lauschte der Musik mit geschlossenen Augen. Die zweite Symphonie Kreskatas wurde gespielt. Als ich einmal zu ihm hinüberblickte, war ich verblüfft: Goobar schlief . Sein Kopf lag nach hinten geneigt auf der Rückenlehne des Sessels. Erst das gewaltige, brausende Finale weckte ihn.
    Am Ausgang des Saales drängten sich die Konzertbesucher. Ich blieb gedankenverloren sitzen und starrte vor mich hin. Als ich den Blick hob, waren nur wir drei noch im Saal. Ich sprang auf. Goobar und Ruys erhoben sich ebenfalls von ihren Plätzen. Die Situation war in gewissem Sinne peinlich, denn wir waren nicht zusammen hergekommen. Ich wollte mich im Vorraum von dem Gelehrten und dem Komponisten verabschieden, ging aber mit ihnen weiter. Es wurde ein sonderbarer Spaziergang.
    Wir durchschritten die Hälfte des Schiffes, ohne daß einer von uns ein Wort sprach, und gelangten über eine kurze, sanftgeneigte Rampe in den Korridor, der am Eingang zum Garten endete. Durch die weitgeöffnete Tür des Parks strömte kühler Fichtennadelduft. Goobar trennte sich plötzlich von uns, trat durch die Tür und blieb am Eingang des Gartens stehen. In der Dunkelheit flüsterte das windbewegte Laub.
    „Du kommst auch nicht mehr zu mir, Ruys…“, sagte Goobar leise. Wir standen dicht hinter ihm. Es klang, als spräche er nicht zu einem von uns, sondern zu der Finsternis, die nach nachtfeuchten Blättern duftete.
    „Ich wollte dich nicht stören“, antwortete ebenso leise der Komponist.
    „Ja, ja, ich kenne das…“
    Goobar schwieg wieder, als lauschte er dem Wind.
    „Nach einer Vorlesung – es war noch auf der Erde – bat ich die Studenten, zu mir zu kommen. Nicht zu einem Empfang, nein, ganz einfach, um im Garten spazierenzugehen, sich ungezwungen zu unterhalten. Ich erwartete natürlich nicht, daß alle kamen, aber doch ein großer Teil. Meine Frau und ich warteten bis in die Nacht hinein. Niemand kam. Ich fragte später, weshalb sie nicht gekommen waren. Sie hatten alle das gleiche gedacht: Die Menge Menschen wird Goobar stören, ihm lästig sein. Einer muß schließlich verzichten… Und so dachte jeder…“
    Das Gespräch wurde so leise geführt, als schliefe in der Nähe ein Mensch. Ruys antwortete nicht gleich.
    „Auf der Erde war das etwas anderes. Ich war doch oft bei dir, vielleicht zu oft. Aber jetzt bist du mit Arbeit überlastet, müde…“
    „Müde?“ wiederholte Goobar verwundert und fügte hinzu: „Du hast recht.“ Aus dem Klang seiner Stimme war zu entnehmen, daß er selbst bisher nicht daran gedacht hatte.
    „Es war schön und gut, daß du das Konzert besucht hast“, sagte Ruys. „Musik ist etwas sehr Wohltuendes, Notwendiges…“
    „Ich habe doch während des ganzen Konzerts geschlafen“, unterbrach Goobar. Seine innere Belustigung war deutlich aus seiner Stimme zu hören. Sie klang nun wieder so wie an jenem Abend auf dem Ball, als er zum erstenmal mit mir gesprochen hatte.
    Ruys schwieg überrascht, vielleicht auch ein wenig verstimmt. Goobar fuhr fort, als wollte er sich entschuldigen: „Ich kann nicht schlafen. Ich muß alles vergessen, um einschlafen zu können. Bei Musik vergesse ich und schlafe ein.“ „Du mußt vergessen? Was denn?“
    Tiefe Stille herrschte.

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