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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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mehr, außer den Gestapoleuten, ein Wort mit ihm sprach. Alle Bande, die den Menschen an die Welt fesseln, waren zerrissen. Aber Martin schwieg. Und das ist der Preis seines Schweigens!“
    Ter Haar hob die Hände.
    „Das ist der Preis dieses Schweigens: die furchtbare Schuld, in der wir, die Lebenden, bei der fernsten Vergangenheit stehen, eine Schuld gegenüber den Tausenden, die ebenso wie Martin umgekommen sind und deren Namen uns nicht überliefert wurden. Es gibt nur eine einzige Rechtfertigung für sein Sterben in dem Bewußtsein, daß kein besseres Jenseits ihm seine Qualen lohnt, daß sein Leben für immer in der Kalkgrube endet, daß keine Auferstehung von den Toten und keine göttliche Vergeltung kommt. Sein Tod in dem Schweigen, das er sich selbst auferlegte, hat den Sieg des Kommunismus beschleunigt; vielleicht nur um Minuten, Tage oder Wochen – einerlei! Wir sind jetzt auf dem Weg zu den Sternen. Auch dafür ist er gestorben, und das ist ebenfalls eine Rechtfertigung seines Todes… und des Kommunismus… Aber wo – wo sind die Kommunisten?!“
    Nach diesem zornigen und zugleich schmerzlichen Aufschrei trat eine kurze, lastende Stille ein. Dann fuhr der Historiker fort: „Das ist alles, was ich euch sagen wollte. Komm, Ingenieur, wir gehen. Mögen sie die Klappe öffnen, von dem Luftdruck hinausgeschleudert werden und wie Blutblasen im leeren Raum platzen. Mögen in aller Ewigkeit die Reste der Körper jener durch das All irren, die zu feige waren, zu leben!“
    Ter Haar verließ den Kreis. Seine Schritte dröhnten im Gang, dann glitt der Fahrstuhl mit ihm aufwärts. Die Leute standen noch immer bewegungslos vor dem Trichter. Plötzlich führ sich einer mit der Hand über das Gesicht, als streifte er einen schweren, dunklen, kalten Schleier ab; jemand räusperte sich, ein anderer stöhnte auf – oder schluchzte und dann gingen sie gesenkten Hauptes auseinander.
    Schließlich waren wir allein – Yrjöla, Zorin und ich. Der Ingenieur stand am Rand des Trichters und hielt noch immer den Blockierungsapparat in der Hand. Zorin lehnte mit verschränkten Armen an der Wand. Wir schwiegen. Auf einmal erklang über uns der gedehnte Pfeifton, das Warnsignal. Es war inzwischen Nacht geworden. Die Gea erhöhte ihre Geschwindigkeit.
Goobar - einer von uns
    Feuer gebar die Planeten. Aus der erstarrenden, erkalteten Materie der Sterne entstand das Leben. Seine elastische, gallertartige Erstlingsform schuf nach Millionen blinder, mißglückter Versuche Kalkpanzer und Blut, Kiemen und Herzen, Augen, Kiefer und Eingeweide. So begann das Fressen und Vermehren, ein langsames Wachsen und Aufwärtsentwickeln und gewaltsamer Untergang. Im Kampf um das Dasein gingen manche Geschöpfe aus dem Meer auf das Land, andere kehrten in die Ozeane zurück, Flossen verwandelten sich in Pfoten, Pfoten in Flügel und wieder in Flossen. Das Leben riß ab, starb in den gebirgsbildenden Epochen, erstarrte in Millionen von Leibern in versteinerter Lava, kam wieder, wie ein musikalisches Thema – immer neu und anders und doch stets das gleiche –, eine gewaltige Melodie, die im Schweigen des Todes verklang und aus den Tiefen der Wasser, auf den Höhen der Berge, im Schnee und im Sand der Wüsten von neuem ertönte.
    Aus dieser millionengestaltigen Flut von Sterben und Geborenwerden, aus dem unaufhörlichen Kampf, dem Dunkel, dem ewigen Fressen und Gefressenwerden rang sich der Mensch empor, gab dem Planeten, seinem Himmel und allem, was er erblickte, ja sogar den Sternen Namen. So begann der Aufbau der Zivilisation. Der Himmel – das war einst das sanfte Leuchten der Planeten, die unter den Klängen himmlischer Musik über kristallene Sphären glitten. An der unbeweglichen Feste des Firmaments flimmerte das Ameisengewimmel der Sterne, gezähmt durch die Erklärung, sie seien nur ein Ornament an der Mauer, hinter der die Gefilde unendlicher Glückseligkeit liegen. Der Mensch lauschte vergebens in die Nächte, um die erlösende Musik des Himmels zu vernehmen. Er begann zu zweifeln und erhob sich gegen diesen Himmel, zerstörte die Wölbungen des Paradieses, überschritt die erlogenen Grenzen und drang in die schwarze Einöde vor. Er fand zwar auf seinem Weg nur glühende Nebel, die von einer Unendlichkeit zur anderen strebten, aber er ging weiter, nicht mehr auf der Suche nach der Musik der Sphären, sondern um Antwort auf die Frage zu erhalten, wo und wie er zur Welt gekommen, wer er sei und was er tun müsse, damit sein Dasein

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