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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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war sehr scharfsinnig und besaß eine Reihe von Talenten, die aber noch so viel kindliche Wunderlichkeiten an sich hatten, daß seine Automaten, wenn sie sich abmühten, das Erz von der Schlacke zu sondern, an dieser Arbeit würgten und sich zu verschlucken schienen. Die älteren Spezialisten fluchten und lachten zugleich, wenn sie seine mathematischen Arbeiten durchsahen, denn sogar seine geistigen Mißgeburten zeichneten sich durch einen gewissen eigenwilligen Reiz aus, der eine große Begabung verriet. Er und der ein Jahr jüngere Viktor, der Sohn Professor Trehubs, waren ein untrennbares Paar. Häufig sah ich sie mit hochroten Köpfen über irgendein Problem diskutieren.
    Ich hatte in der letzten Zeit einen auffälligen Wandel in seinem Benehmen festgestellt. Er war schweigsam geworden und liebte es, geistesabwesend vor sich hin zu starren. Eines Abends vertraute er mir, nach einer sehr förmlichen Einleitung, verlegen und verschämt an, daß er Gedichte schreibe. Er hatte einige mitgebracht. Ich las sie in seiner Gegenwart und spürte, daß er aufmerksam jede Regung in meinem Gesicht verfolgte. Ich bemühte mich, so gut es ging, keine Miene zu verziehen, denn die Gedichte waren wirklich schlecht. Bald darauf erschien er mit einem ganzen Stoß neuer Dichtungen. In diesen gereimten philosophischen Traktaten träumte er von dem Nichts als dem Zufluchtsort vor allem Leid. Ich begann, die Ursache dieser düsteren Stimmungen zu ahnen, als in den nächsten Gedichten – er schleppte immer mehr herbei – eine rätselhafte Frauengestalt auftauchte. Ich fand in diesen Versen, besonders unter den Metaphern, einige merkwürdige Stellen, und einmal vermochte ich eine Frage nicht zu unterdrücken: „Du schreibst ,Augen schwarz wie der Himmel‘. Wieso?“
    „Nun, weil sie schwarze Augen hat“, antwortete er und wurde über und über rot.
    „Der Himmel ist doch blau!“
    Er blickte mich verwundert an und stotterte: „Na ja… ich hatte aber den wirklichen Himmel im Sinn.“
    Er hielt also ebenfalls den Himmel der Erde, das klare, helle Blau, das er jeden Tag im Garten der Gea sah, für einen Kontrast zu dem unendlichen Schwarz rings um das Schiff, für etwas Vorgetäuschtes, vielleicht sogar Erlogenes. Er betrachtete es so – er, der zur Zeit unseres Abfluges vierzehn Jahre alt gewesen war. Wer weiß, dachte ich, wie viele solcher neuer Gedankenverbindungen in den Köpfen derer entstehen, die auf der Gea geboren wurden.
    Am vierten Jahrestag des Abfluges unserer Expedition fand die bereits traditionelle Festveranstaltung statt, diesmal im Säulensaal. Schon in den frühen Abendstunden war er voll Menschen. Als ich mit Ter Haar den Saal betrat, demonstrierten gerade Physiker aus dem Kollektiv Ryliants und Rudeliks an erleuchteten Modellen die Wirkung des Desintegrators.
    Der Desintegrator ist ein wirkungsvolles, mächtiges Geschütz für Strahlungsenergie, ein Strahlenwerfer. Eine einzige Ladung genügt, einen mittelgroßen Asteroiden zu atomisieren. In Verbindung mit dem Radarschirm schützt er die Gea vor Zusammenstößen mit kosmischen Körpern, da das Schiff wegen der rasenden Geschwindigkeit nicht imstande wäre, Ausweichmanöver vorzunehmen. Die einzige Möglichkeit, einer Katastrophe zu entgehen, liegt also darin, daß ein solches Hindernis durch einen Strahlungsstoß zerstört wird. Das Schauspiel, das die Physiker in Szene gesetzt hatten, war wirklich imponierend. Die entsprechend abgeschirmte Saalmitte war die Bühne; auf ihr rollte das „Drama“ der Zertrümmerung eines Himmelskörpers ab, der die Bahn unserer Gea kreuzte. Im Saal war es stockfinster. Das Modell unseres Raumschiffes und der Meteor strahlten ein schwaches, phosphoreszierendes Licht aus. Ein Zusammenprall schien unvermeidlich zu sein. Da schoß ein Strahl, scharf wie eine Nadel, aus dem Raumschiff und verwandelte das Stück Materie in eine Wolke glühender Gase. Als das Licht im Saal wieder aufflammte, umringten Wißbegierige die Physiker. Eine lebhafte Diskussion entspann sich, in die sich bald die hohen Stimmchen der mathematischen Analysatoren mischten.
    Ameta und ich gingen in den Garten. Als wir zurückkehrten, entdeckten wir in der tiefen Nische vor dem Eingang zum Säulensaal Nils Yrjöla und den Paläopsychologen Achelis, die sich gegenüber dem Aquarium niedergelassen hatten. Wir gesellten uns zu ihnen.
    „Ein Zeitraum von einigen tausend Jahren“, sagte gerade der Paläopsychologe, „ist in der Stufenleiter der biologischen

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