Gast im Weltraum
unentbehrlich für die Welt werde.
Wir, die ersten Menschen, die zu fernen Sonnen fliegen, unterlagen der Einsamkeit unendlicher Leere. Uns quälte die unausgesprochene, tiefverborgene Befürchtung, daß unsere Mühen vergebens sein könnten. Jeder von uns begriff, daß ein Mensch, selbst wenn er mit Lichtgeschwindigkeit flöge, niemals weiter als zu den nächsten Sonnen gelänge. Flüge durch das ganze Milchstraßensystem und zu fernen Sonnen schienen ein utopischer Traum zu sein und zu bleiben. Die schwarzen Abgründe, die zu überwinden selbst das Licht Millionen Jahre braucht, versperrten uns den Weg.
Deshalb betrachteten wir die Menschen, die vor der Ausgangsklappe revoltiert hatten, nicht als Verräter, sondern nahmen sie als vor dem Verderben gerettete Gefährten wieder in unserer Mitte auf. Sie hatten furchtbarer, grausamer als wir anderen gegen die Schwäche kämpfen müssen, die in einem jeden von uns schwelte.
Als sie vor den Ersten Astrogator hintraten und verlangten, daß er sie aburteile, wollte Ter Akonian nicht allein entscheiden und berief die anderen Astrogatoren zu sich. Aber auch sie erklärten, daß sie eine Verurteilung ablehnten. In dem großen Kollektiv unserer Besatzung hat kein Mensch Macht über den anderen. Wir bilden eine Gemeinschaft von Menschen, die sich als Abgesandte der Erde freiwillig entschlossen haben, an der Expedition zum Zentauren teilzunehmen. Ter Akonian teilte ihnen mit, daß sie sich weiterhin, genauso wie zuvor, als gleichberechtigte und vollwertige Mitglieder unseres Kollektivs betrachten könnten. Ihre Strafe hätten sie bereits erhalten und würden auch künftig vor ihrem Gewissen und in ihrem Gedächtnis an ihr zu tragen haben.
Zu dieser Gruppe gehörten viele meiner Patienten. Dem vorübergehenden Zusammenbruch erlagen alle, deren Nervensystem schwächer war als das der anderen. Ihre Schuld wog also nicht so schwer. Als ich dies Ter Haar gegenüber äußerte, erwiderte er, daß schließlich er es gewesen sei, der sie mit seinen Worten zur Besinnung gebracht hatte, und nicht ich mit meinen Arzneien.
Die Nachricht über den Vorfall verbreitete sich mit Blitzesschnelle im ganzen Schiff. Die Astrogatoren schlugen den Historikern vor, die Besatzungsmitglieder in ihre Arbeiten über die kritischen Umbruchperioden in der Geschichte einzuführen, in denen die Zukunft der Welt auf dem Spiel stand und eine Generation die Verantwortung für Dutzende kommender Generationen übernehmen und tragen mußte, obgleich sie unter dieser ungeheuren Last beinahe zusammenbrach.
Die Laborkollektive, Freundschaftskreise und Künstlergruppen kamen hinfort gemeinsam zusammen. Abends versammelten wir uns in den Arbeitsräumen der Historiker, die uns Vorlesungen über die Geschichte früherer Epochen hielten – sofern man Erzählungen wie jene, mit der Ter Haar unsere Herzen erschüttert hatte, Vorlesungen nennen konnte.
Ein gewaltiger, endloser Strom von Menschen, die sich gegen die damalige Gesellschaftsordnung im Namen der Zukunft der Menschheit aufgelehnt und erhoben hatten, zog an uns vorüber. Sehende Augen, ihr lebendiger, zuversichtlicher Glanz, Wälder von Händen, Gesten, sehnsüchtig geöffnete Lippen, Geflüster und Seufzer Liebender, letzte lebenshungrige Blicke Verurteilter, das ruhelose Forschen und Denken Gelehrter, Taten höchsten Mutes und leises Erbeben der Wimpern – all das erstand wieder, durch ihre Worte heraufbeschworen, und wurde vor unserem inneren Blick zum Lauf der Welt. So erhielten wir ein Wissen von dem Geschehen, das den trockenen Verallgemeinerungen, die wir aus der Schule mitgebracht hatten, ebenso unähnlich war wie das Wissen von der biologischen Prädestination des Geschlechts – der Liebe. So offenbarte uns der längst verstummte, von der Vergangenheit eingeschlossene Chor der Stimmen den Sinn ihres und unseres Menschentums.
Einige Wochen nach den geschilderten Ereignissen, als die Gea bereits die höchstmögliche Geschwindigkeit erreicht hatte und die Warnsignale, die eine weitere Beschleunigung ankündigten, für eine Reihe von Jahren verstummt waren, tauchte in unserem Raumschiff das Gerücht auf, daß Goobar, der sich seit langem mit den Problemen der interstellaren Reisen beschäftigte, einer revolutionierenden Entdeckung auf der Spur sei. Keiner wußte, wer dieses Gerücht aufgebracht, wer es verbreitet hatte. Vor allem unter den Nichtfachleuten war es immer wieder in verschiedenen, aber stets nebelhaften Versionen anzutreffen. Vielleicht
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