Gast im Weltraum
Von den ersten Worten dieses Gespräches an fühlte ich mich als ungebetener, aufdringlicher Zuhörer. Ich mahnte mich immer wieder, mich zu verabschieden, und wartete auf den günstigsten Augenblick. Nun schien er gekommen zu sein. Aber als ich die erste Bewegung machte, begann Goobar zu sprechen: „Ich arbeite nun das neunte Jahr an der Erforschung der Einflüsse der Gravitation auf die Lebensprozesse. Das ist ein langer Weg. Ich bin auf einen Wald von Problemen gestoßen, die Lösung jedes einzelnen ist ein Leben wert. Ich habe keines von ihnen verfolgt. Die große Beschleunigung, die Geschwindigkeit, die an der Grenze der Lichtgeschwindigkeit liegt, ist und bleibt mein Thema. Welches Schicksal erwartet den Menschen, der die Geschwindigkeit von hundertneunzigtausend Kilometern in der Sekunde überschreitet? Der Tod, antwortet auf diese Frage jeder Grundschüler. Das gleiche behaupte ich heute mit einer durch neun Jahre Arbeit vermehrten Sicherheit. Und nun – wie weiter?“
Er lehnte sich an den Flügel der Glastür und schwieg. Nur die Bäume im Garten rauschten.
„Seit Monaten hat jeder, mit dem ich, gleichgültig bei welcher Gelegenheit, zusammenkomme, eine Frage auf den Lippen. Gewiß, keiner spricht sie aus. Die Kollegen in meinen Laboratorien kennen den Stand der Forschungen ebensogut wie ich und trotzdem… Sogar sie, die mir am nächsten stehen, ja selbst Callarla… Was soll ich ihnen sagen? Soll ich ihnen Hoffnungen machen? Mit welchem Recht? Autorität bedeutet Verantwortung. Das wurde uns gelehrt. Je größer die Autorität, desto größer die Verantwortung. Und alle… alle warten. Sie schauen auf mich und warten. Sie vertrauen auf Goobar, sie glauben an ihn. Und an wen soll ich glauben?“
Er sprach leise, er hob nicht einmal die Stimme, und doch war es wohl auf dem ganzen Deck zu hören. Aber es war leer. Vor uns hing die lange Schnur blauer Nachtlampen, rechts von uns, durch die weitgeöffnete Tür, rauschte der unsichtbare Garten.
„Und selbst in diesem Augenblick, da ich euch das sage, denkt ihr: Nun ja, aber was meint er? Mit was, auf was rechnet er? Wie denkt er darüber?–Habe ich nicht recht?“
Wir schwiegen. Er hatte die Wahrheit gesagt. Schließlich hob Goobar die Uhr an die Augen und richtete sich auf. „Es ist Zeit zu gehen, zu beginnen.“
„Was denn?“
„Den neuen Tag.“
Er nickte uns zu, überquerte den Korridor und verschwand im nächsten Fahrstuhl. Es war drei Uhr.
Das Standbild des Astrogators
Stößt ein Gebirgsbach auf einen unüberwindlichen Felsen, dann staut sich sein Wasser und füllt allmählich das Tal. Das dauert Monate, Jahre. Der dünne, unaufhörlich von den Bergen herabsickernde Wasserfaden ist zwischen den dunklen Wäldern und Felsen kaum zu sehen, und doch wird eines Tages aus dem Tal ein See, und ein Bach stürzt brausend über den Felsen und bahnt sich seinen weiteren Weg.
Die gleiche unerschöpfliche Geduld, die in dem ganzen Tun der Natur steckt – auch wenn sie aus Atomen, die in der Leere herumirren, glühende Sonnen, eisige oder von grünenden Gärten bedeckte Planeten formt –, die gleiche Geduld kennzeichnete das Schaffen der Bildhauerin Soledad. Vier Jahre lang arbeitete sie an einem Werk, und dieses Werk war der Anlaß, daß sie sich unserer Expedition angeschlossen hatte. Sie schuf das Standbild des Astrogators.
Ich muß gestehen, daß es mir nicht in den Kopf ging, weshalb die Wahl der Bildhauerin auf Songgram gefallen war. An Bord der Gea befanden sich doch einige berühmte Astrogatoren, wie der stählerne Ter Akonian mit den wachsamen Augen, Grotrian mit der von weißem Haar umrahmten Denkerstirn, der stets weiter, ferner war als jeder andere in seiner Umgebung, oder der hochgewachsene Pendergast mit den gebeugten Schultern, die ihrer eigenen Schwere und Stärke müde geworden zu sein, und den dunklen Augen, die ständig in unermeßliche Weiten zu spähen schienen. Gerade er war meiner Ansicht nach ein dankbareres, geeigneteres Modell als der alltäglichste unter ihnen. Aber ausgerechnet ihn hatte Soledad gewählt. Es wäre wirklich schwierig gewesen, eine weniger pathetische Gestalt zu finden als den etwas zur Fülle neigenden schwarzhaarigen Mann, der so gern lachte – nicht nur unter Menschen, sondern auch für sich allein. Häufig waren, wenn ich an seiner Wohnung vorüberkam, seine dröhnenden Heiterkeitsausbrüche zu hören. Bei der Lektüre seiner Lieblingsbücher, der Werke früherer Astronomen, bog er sich manchmal vor
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