Gast im Weltraum
Lachen. Ihn belustigte, wie er selbst sagte, nicht die Dürftigkeit ihres Wissens, sondern ihre Selbstsicherheit. Es war kein Zufall, daß eines Tages eine Abordnung der Kinder zu ihm kam und allen Ernstes bat, er möge doch eine „kleine, aber wirkliche“ Katastrophe herbeiführen, da es zu langweilig sei.
Wir sahen die Statue des Astrogators zum erstenmal am Abend vor dem vierten Jahrestag unseres Abfluges von der Erde. Sie stand noch im Atelier der Bildhauerin.
Soledad, die noch ihren grauen, verstaubten Arbeitsanzug trug, zog die Decke herab, die das Werk verhüllte, Sie hatte den Astrogator nicht im schweren Skaphander, auch nicht mit erhobenem, den Sternen zugewandtem Blick gestaltet – nein, auf einem einfachen Sockel stand einer von uns, ein wenig vorgebeugt, als wollte er eben ausschreiten und als bemühte er sich noch, sich an etwas zu erinnern, was den Lippen diese Linie gab, die halb Lächeln, halb unruhiges Zucken war. Es war wohl etwas Wichtiges, denn seine Züge drückten innere Sammlung aus, gepaart mit einem leichten Staunen darüber, daß er allein, erhöht über die anderen auf dem Granitsockel stand.
Als die Bildhauerin Songgram bat, seine Meinung zu sagen, da antwortete er nur: „Du hast mehr Vertrauen zu mir als ich selbst.“
Seit vier Jahren schimmerten auf der gewölbten Tafel vor der zentralen Steuerapparatur die Zahlen 281,4° und -2,2°, die galaktischen Längen- und Breitengrade unseres Kurses. Der silbrige Punkt, der unser Raumschiff darstellte, hatte auf der großen Sternkarte die Hälfte des Weges zurückgelegt. Der Weltraum ringsum war unverändert geblieben. Nur einige wenige, die nächsten Sonnen, verschoben sich träge vor dem schwarzen Hintergrund. Der blauschimmernde Sirius, die Sonnen des Zentauren leuchteten heller, aber keiner außer den Astrophysikern maß den Ablauf der Zeit an Veränderungen, die im Vergleich zu dem ewig toten Abgrund, der uns umgab, verschwindend klein waren. Die Zeit schien stillzustehen, im Innern des Schiffes zu erstarren. Jeder neue Tag war dem vorhergegangenen gleich. Der künstliche Zyklus der Jahreszeiten täuschte niemanden mehr, und das Verrinnen der Zeit nahmen wir nur an neuen, herangewachsenen Menschen wahr, die unter uns erschienen, obgleich wir in dem Raumschiff hermetisch abgeschlossen waren.
Der vierjährige Sohn Tembharas, der auf der Gea geboren war, fragte mich einmal bei einem Kinderfest: „Sag mal, Onkel, wie sehen eigentlich wirkliche Menschen aus?“
„Was redest du da, Junge?“ rief ich. „Was für wirkliche Menschen meinst du denn?“
„Na, die auf der Erde.“
„Wir sind doch alle von der Erde“, antwortete ich und vermochte nur mit Mühe meine Erregung zu unterdrücken. „Dein Vater, deine Mutter, wir alle sind doch Menschen von der Erde. Du wirst dich davon überzeugen, wenn wir auf die Erde zurückgekehrt sind. Übrigens siehst du manches aus dem irdischen Leben und weißt also, daß die Menschen auf der Erde genauso aussehen wie wir.“
„Ach“, erwiderte der Kleine, „das ist doch alles nicht wahr, das ist doch nur Video…“
Die älteren Kinder erinnerten uns manchmal auf sehr lebhafte Art an ihr Dasein. Der Park war für sie zu eng, und mit dem wachsenden Betätigungsdrang dehnte sich das Feld ihrer Spiele aus. Sie veranstalteten Wettläufe und Hetzjagden über alle Verdecks, durch alle Gänge, und der Lärm, den sie vollführten, toste durch das ganze Schiff.
Und doch verging die Zeit. Aus Jungen wurden Männer, aus Mädchen Frauen. In den Arbeitsräumen, den Laboratorien tauchten immer wieder neue, junge Gesichter auf. Die Veränderungen beschränkten sich natürlich nicht auf die Ergänzung oder Erweiterung der wissenschaftlichen und künstlerischen Kollektive. Viele von uns hatten neben ihren Verwandten Freunde unter den Kollegen, auch unter den jungen Leuten, die zu den älteren kamen, um ihnen etwas anzuvertrauen oder Rat und Hilfe zu suchen. Das ist eine erfreuliche und zugleich betrübliche Erscheinung; erfreulich, weil die Jugend sich nur zu jenen hingezogen fühlt, die durch ihr eigenes Leben Werte schufen, würdig der Nachfolge und der Nachahmung, und betrüblich, weil der erste Besucher dieser Art gewöhnlich das Ende der eigenen Jugend anzeigt… Nils Yrjöla kam häufig zu mir. Er war damals noch ein langaufgeschossener, hagerer Bursche, dessen weiße Zahne nicht nur blitzten, wenn er lachte, sondern auch, wenn er sprach, als zerbisse er jedes Wort wie eine kleine, saftige Frucht. Er
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