Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
eine bestimmte Stelle im Raum sternlos war. Unser Schiff hob sich als schwarzer Schatten von den Sternhaufen im Süden der Milchstraße ab. So rasch ich konnte, rollte ich die Leine zusammen. Bald berührten meine Knie einen harten Gegenstand: Ich war gegen den Panzer der Gea gestoßen, schaltete die Magnete ein und stand nun wieder fest mit beiden Beinen auf unserem Schiff. Erleichtert atmete ich auf und versuchte zu gehen. Es gelang. Da blitzte vor mir ein grünes Licht auf–das Lämpchen, das an jedem Skaphander hinten am Kragen angebracht ist. Offenbar schaute dort ein Gefährte den arbeitenden Mechanoautomaten zu. Ich schritt auf das Licht zu. Meine Vermutung bestätigte sich. Die Automaten waren an dem klaffenden Riß im Panzer beschäftigt. Einige Scheinwerfer, die in diesem Augenblick aufflammten, beleuchteten die Arbeitsstelle. Die gezackten Ränder des Risses waren von der Hitze, die sich bei dem Zusammenprall entwickelt hatte, umgestülpt, zerrissen, wie ein Stück Papier zusammengedreht. Im Licht der Reflektoren warfen sie bizarre Schatten. Einige Automaten schnitten die Stahlfetzen ab, andere schlossen die Wunde mit den Flammen ihrer Schweißgeräte, wieder andere glätteten mit ihren Schleifmaschinen die Nahtstelle. Unter ihren Armen sprühten Garben hellvioletter und goldener Funken. Ein unheimlicher Anblick: Dunkle Geschöpfe, tief unter den ewigen Sternen gebeugt, erzeugten farbenschillernde Weltalle, die im Moment ihres Entstehens wieder erloschen.    * Auf der anderen Seite leuchtete ein zweites grünes Licht. Ich ging darauf zu. Von neuem umfing mich nun das sternenübersäte Dunkel. Ich konnte nicht glauben, daß sich die Gea tatsächlich fortbewegte. Nun erlebte ich selbst das Phänomen der Relativität der Bewegung: Geschwindigkeit ist ein leerer Begriff, wenn nicht das Bezugssystem gegeben ist.
    Der einsame Mensch war gewiß Ameta – nein, Ameta war kleiner. Ich hob die Hand, um sie ihm auf die Schulter zu legen, ließ sie aber gleich wieder sinken, denn ich erkannte Goobar. Von dem schwachen, flackernden Leuchten der sprühenden Funken erhellt, stand er dort, mit verschränkten Armen, den Blick in die unendliche Einöde des Weltalls versenkt, und – lächelte.
Eine neue Epoche beginnt
    Ich weiß nicht, wann ich Anna von ganzem Herzen liebgewann. Bewußt wurde es mir jedenfalls erst bei der Katastrophe, die uns einen Gefährten raubte. Unser Zusammenleben war auch jetzt keine Folge still und sanft abrollender Stunden und Tage. Der Flug brachte zu viele Ereignisse, denen ich nicht gewachsen war. Häufig wurde ich zornig und böse, war ratlos und durch tragische Geschehnisse niedergeschlagen; aber nun liebte ich Anna auch in meinem Zorn, in meiner Trauer und sehnte mich immer nach ihr, selbst wenn sie mir nahe, ganz nahe war.
    Einige Monate hindurch arbeitete ich bis tief in die Nacht. Dann fiel ich gewöhnlich in einen bleischweren, traumlosen Schlaf, aus dem ich morgens völlig geistesabwesend erwachte. Ich wußte nicht, wo und wer ich war, und mußte alles mühsam in meinem Gedächtnis zusammenklauben. In diesen Augenblicken der Suche nach einem Weg zu mir selbst tauchte als erstes das Bewußtsein ihres Daseins in mir auf, erfüllte mich, überschritt die Grenzen meines Ichs, erhellte und verschönte das Zimmer und jeden Gegenstand, auf dem der Blick ruhte. Ich hatte das Gefühl, einer der reichsten Menschen der Welt zu sein, auch wenn ich alle Erinnerungen einbüßen, der ganzen Vergangenheit verlustig gehen sollte und mich auf nichts anderes besinnen könnte als auf sie. Abends gingen wir auf das Promenadendeck, dorthin, wo ich sie unter den Sternen zum erstenmal geküßt hatte. Wir blickten in das Dunkel, empfanden unsere Gegenwart, unser Beisammensein ohne die leiseste Berührung. Hoch über uns leuchteten die Sternhaufen der Plejaden, gewaltige Sonnenstaffeln, die durch den endlosen Raum fliegen.
    Einmal unterbrach Anna das Schweigen: „Liebster, um die Sonnen dort oben kreisen doch auch Planeten, die von lebenden Wesen bewohnt sind, nicht wahr?“
    „Ja“, antwortete ich, ohne zu wissen, worauf sie hinauswollte.
    „In der Milchstraße gibt es gewiß Millionen solcher Planeten, die von vernunftbegabten Wesen bewohnt sind. Ist es so?“
    „Ja, so ist es.“
    „Dann ist dieser schwarze Raum weder tot noch leer–wenn ihn unausgesetzt die Blicke von Milliarden lebender Wesen durchdringen!“
    Ich war erstaunt über diese einfachen und natürlichen Worte. Gewiß, dachte ich, Anna

Weitere Kostenlose Bücher