Gast im Weltraum
gestützt und geschoben, gelangte ich in die Ausstiegsöffnung der Druckkammer. In dem Augenblick, als mir der Helm aufgesetzt wurde, verwandelte sich das Licht in einen gelblichen Dämmerschein. Ich verlor Ameta aus den Augen. Der Automat am Ausgang prüfte noch einmal mit wahrhaft feierlichen Bewegungen die Verschlüsse und die Dichte der Sauerstoffventile, dann schloß sich die Klappe hinter mir. Einige Sekunden lang hörte ich das Zischen der Luft, und dann hob sich, vom inneren Druck befreit, die Außenklappe des Mannloches von selbst. Ich stieg langsam, unbeholfen die kleine Leiter hinunter und befand mich zum erstehmal seit vier Jahren außerhalb der Gea.
Ich hielt mich an der Leiter fest und suchte mit den Füßen Halt auf dem Panzer. Die Magnete an den Schuhsohlen blieben an den Stahlplatten haften. Nun richtete ich mich auf. Vor meinen Augen flimmerte noch das Licht, das ich aus der Gea in das Dunkel des Raumes mitgenommen hatte. Gleich darauf erlosch es. Ich vermochte die nächste Umgebung zu unterscheiden. Die äußere Hülle der Gea bewegte sich nicht; nur die inneren, bewohnten Räume drehten sich, um ein künstliches Schwerefeld zu schaffen, wie ein riesiges Karussell um die Längsachse des Schiffes. Hier aber war alles reglos. Die dichtgeballten Silberwolken der Milchstraße umgürteten das Dunkel als unermeßlich weiter Ring und täuschten einen fernen Horizont vor. Der Skaphander hatte kein Gewicht mehr. Ich fühlte mich nackt und bloß, mein ganzer Körper schien der Leere als Beute preisgegeben. Aus Angst, daß mich eine unbedachte Bewegung von dem in der Dunkelheit unsichtbaren Panzer löste, kauerte ich mich auf die harte, glatte Fläche unter meinen Füßen. Nun erst fiel mir ein, daß ich durch eine lange Sicherungsleine mit einem Haken am Mannloch verbunden war. Diese Leine war, bevor ich die Druckkammer verließ, am Skaphander befestigt worden. Hastig tastete ich nach dem Karabinerhaken, berührte versehentlich den Hebel, mit dem man die Magnete ein- und ausschaltet, und flog in den Raum. Mit schreckgeweiteten Augen sah ich, daß die Leine, die mit einer phosphoreszierenden Masse überzogen war, sich langsam in Schlangenlinien abwickelte. Sie dehnte und streckte sich wie eine lange, weiße Nabelschnur, bis ich schräg, wie ein Ballon, unter oder über dem Schiff schwebte. Dadurch, daß die Gravitation fehlte, hatte ich kein Gefühl für die Richtungen. Ich bewegte mich, hob den Kopf und sah – Sterne. Ich blickte zu meinen Füßen hinunter – Sterne. Überall totes Dunkel und in seinen Abgründen erstarrter Sonnenstaub. Plötzlich schwindelte mir so heftig, daß ich die Augen schließen mußte. Der Pulsschlag dröhnte in dem kleinen Luftraum, der meinen Kopf umgab. Ich öffnete die Augen. Von dem vertrauten Sternbild des Großen Bären ließ ich meinen Blick tiefer gleiten, dorthin, wo zwischen dem Epsilon und dem Delta der Kassiopeia ein unbewegliches Fünkchen glühte – unsere Sonne. Sie war so verschwindend klein, so unähnlich der Sonne meiner Erinnerungen, daß ich weder Heimweh noch Verwunderung empfand, sondern nur Gleichgültigkeit, unter der sich, unzugänglich und unfaßbar für alle Argumente des Verstandes, der Zweifel verbarg, daß dieses gelbliche Stäubchen, das sich in nichts von vielen tausend anderen unterschied, wirklich das strahlende Licht meiner Heimat war.
Ich wollte die Gea sehen. Ich glaubte, ich würde sie als eine im Raum schwebende, dunkle, schlanke Spindel erkennen; aber ich sah– nichts. Zum zweitenmal erschrak ich. Der entsetzliche Gedanke, die Leine habe nachgegeben und sich von der Halteklammer gelöst und ich sei allein in der schwarzen Unendlichkeit zurückgeblieben, schnürte mir die Kehle zu. In meiner Angst warf ich mich hin und her, um einen Halt zu finden. Ich wand mich ungeschickt und plump wie ein blinder Wurm. Mein Herz schlug wie ein Hammer, mein Blick irrte durch die Finsternis – ringsum nur Millionen bewegungsloser Sterne, die so schwach leuchteten, daß ich in ihrem Licht nicht einmal meine ausgestreckten Hände sah. Es war, als hätte ich mich in dieser alles verschlingenden Dunkelheit aufgelöst. Das Sausen des Blutes in meinen Ohren und die schwarze Unendlichkeit waren da – sonst nichts.
Auf einmal geriet eine lange, weiße Schlange in mein Blickfeld – die Leine, die mich mit dem Schiff verband. Ich strengte meine Augen an, daß sie schmerzten, und erkannte nun auch die Gea, das heißt, ich erriet ihre Fischgestalt daraus, daß
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