Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
hat recht. Wenn ich den kalten Glanz des Kreuzes des Südens betrachte, dann begegnet mein Blick vielleicht dem Blick unbekannter Wesen, die, obwohl sie verschieden von uns, unter einer anderen Sonne aufgewachsen sind, ebenso wie wir in die gefährliche, ewige Schönheit des Weltalls schauen.
    Vier Monate nach der Katastrophe erhielt ich eine gedruckte Einladung:
Die Gruppe der Biophysiker der Gea beehrt sich, dich, lieber Kollege, zu einer erweiterten Sitzung im großen Vortragssaal einzuladen. Die Sitzung findet um 18 Uhr statt.
Tagesordnung:
1.    Professor Goobar spricht über das Problem transgalaktischer Expeditionen.
2.    Aussprache.
    Niemals war mir die Zeit so unerträglich lang geworden wie an jenem Tage. Bei meiner Arbeit im Krankenhaus sah ich andauernd nach der Uhr. Ich nahm mir vor, um siebzehn Uhr zur Sitzung zu gehen, begab mich aber bereits eine Stunde früher in die Nähe des Saales, felsenfest überzeugt, dort niemandem zu begegnen. Aber wie groß war meine Überraschung, als ich schon von weitem lautes Stimmengewirr hörte. Zwanzig Minuten nach siebzehn Uhr war der geräumige Saal bereits überfüllt. Von meinem Platz im obersten Winkel der amphitheatralisch angeordneten Sitzreihen übersah ich die ganze bewegte Menge. In allen Gängen standen Menschen, lediglich ein schmaler Raum vor den großen, schwarzen Tafeln war frei. Alle waren gekommen, die Laboratorien und Arbeitsräume hatten sich geleert. Nur einer fehlte: der diensthabende Astrogator; aber auch er konnte durch das Fernsehgerät vom Steuerraum aus den Lauf der Sitzung verfolgen.
    Pünktlich um achtzehn Uhr erschien Goobar durch die Seitentür am Katheder. Er betrat das Podium und wählte längere Zeit zwischen den Kreiden, die in geometrischer Ordnung unter der Tafel bereitlagen. Dann wandte er sich uns zu, verbeugte sich leicht und begann zu sprechen.
    Er zählte eine Reihe allgemein bekannter Tatsachen auf, erwähnte das Bewußtseinsflimmern in der Nähe der kritischen Geschwindigkeit und die Versuche, sie zu überschreiten, die mit dem Tod der Experimentatoren endeten.
    Nach dieser kurzen Einleitung fuhr er fort: „Die Mehrzahl der Spezialisten war der Ansicht, daß sich Flüge, deren Geschwindigkeit 190000 Kilometer in der Sekunde übersteigt, niemals verwirklichen lassen. Einige wenige drückten die Hoffnung aus, daß es gelingen würde, ein Mittel zu finden, das den Menschen vor der verderblichen Wirkung einer solchen Geschwindigkeit schützt. Da die allgemein anerkannte Theorie der Lebensprozesse die Möglichkeit, solche Mittel zu entdecken, ausschließt, behaupteten sie, diese Theorie würde sich als falsch erweisen und müßte umgestoßen werden. Was mich betrifft, so ging ich weder von den Voraussetzungen der einen noch von den Hypothesen der anderen Gruppe meiner Kollegen aus. Vom Standpunkt der ersten deshalb nicht, weil die Anerkennung ihrer Voraussetzungen jede Forschung auf diesem Gebiet von vornherein aussichtslos erscheinen läßt. Der Ansicht der anderen vermochte ich mich nicht anzuschließen, da bestehende wissenschaftliche Theorien nicht deshalb durch neue ersetzt werden, weil sie falsch sind – diese Methode der Wissenschaft ist längst überwunden –, sondern weil die neue Theorie stets umfassender, weitreichender ist und die alte Theorie als einen ganz bestimmten Einzelfall enthält. Ich stellte mir also die, Aufgabe, eine neue Theorie der Lebensprozesse zu entwickeln.“
    Ein leichtes Raunen ging durch den Saal.
    Goobar schrieb die jedem bekannte genetische Gleichung der lebenden Zelle an die Tafel, wischte den Kreidestaub von den Fingern und fuhr fort: „Die Kollegen sind offenbar von meiner Behauptung überrascht, daß eine noch allgemeinere Theorie bestehen kann als die, die durch diese Formel ausgedrückt wird. Tatsächlich umfaßt sie jeden bekannten Ablauf der Lebensprozesse in irdischen Organismen, der primitivsten und der höchstentwickelten. Ist also eine noch allgemeinere Theorie denkbar? Ich sah nur eine Möglichkeit, die zu einer Bejahung dieser Frage berechtigt. Das irdische Leben ist ein ganz bestimmter Sonderfall des aktiven Bestehens, das in den Planetensystemen des Weltalls vorhanden ist. Auf anderen Himmelskörpern können Organismen existieren, die ganz anders als die der Erde entstanden sind. Bei uns tritt das Leben immer in Gestalt von Eiweißverbindungen in Erscheinung. Seit langem nimmt man an, daß dem Eiweiß ähnliche Strukturen, die auf dem Atomgitter des Siliziums aufgebaut

Weitere Kostenlose Bücher