Gast im Weltraum
Gase drang in den Spalt, zerfetzte die Schichten der inneren, isolierenden Decke und durchschlug die Wasserbehälter dort, wo unter ihnen die Leitungen des Kühlnetzes liegen, in denen flüssiges Helium kreist.
Dies geschah gerade zu der Zeit, als einige Automaten die Rohrdichtungen überprüften. Das flüssige Helium stand deshalb unter Druck. Außerdem waren sämtliche Ventile, die sonst automatisch den Zufluß sperren, blockiert. Das flüssige Gas, dessen Temperatur nur drei Grad über dem absoluten Nullpunkt liegt, brach sich mit ungeheurer Gewalt Bahn, riß die Leitungen auf, brauste als reißender Strom durch einen Reserve-Ventilationsschacht in die Steuerungszentrale und ergoß sich über die Schutzkappen der Automaten. Alle elektrischen Leitungen, mit denen es in Berührung kam, wurden unterkühlt und waren nun supraleitfähig. Anstelle der Ordnung von Impulsen und Signalen herrschte ein Chaos gestörter Ströme. Die Automaten wurden von der Supraleitfähigkeit betroffen und versagten, als das ständig zufließende Helium höher stieg und die Steuerungszentrale überflutete.
Im eigentlichen Steuerraum, der unmittelbar unter der Zentrale liegt, befand sich zu diesem Zeitpunkt – es war genau drei Uhr siebenundvierzig Minuten – nur ein Mensch, der diensthabende Astrogator Songgram. Er konnte weder die Hauptrohre mit flüssigem Helium blockieren noch die Schotten sperren, und er war nicht mehr in der Lage, den Riß im Panzer provisorisch zu schließen.
Einige Elektronenhirne wurden sofort und vollständig gelähmt, andere arbeiteten, als wären sie irrsinnig geworden, verstümmelten die Weisungen und sandten im Bruchteil einer Sekunde Dutzende einander widersprechender Befehle aus. Songgram konnte sich mit niemandem verständigen und hatte gerade noch die Möglichkeit, die Besatzung der Gea über das telefonische Notnetz zu alarmieren, bevor die Kabel mit dem flüssigen Gas in Berührung kamen.
Er war allein mit den Schalttafeln, den Meßinstrumenten, den Zeigern, die nichts mehr maßen und anzeigten. Die Kontrollämpchen erloschen oder leuchteten ohne jeden Sinn auf, die Transformatoren brummten und zitterten unter den Stromstößen, viele Stromkreise waren ausgefallen, in anderen brannten infolge der Überlastung die Sicherungen serienweise durch, so daß ein violetter Flammenschein knisternd und knatternd über die Isolatorentafeln huschte. Songgram wußte, daß das Helium, das sich über ihm ansammelte, früher oder später den ganzen Schaltraum füllen und zu den am meisten geschützten Teilen, der automatischen Steuerung der Atomreaktoren, Vordringen würde, und das war gleichbedeutend mit der Vernichtung des Raumschiffes.
Was er in diesen entscheidenden Sekunden dachte, das weiß niemand; aber was er tat, das registrierten die Kontrollapparate, die einwandfrei funktionierten, da sie ohnehin auf der Grundlage der Supraleitfähigkeit arbeiteten. Im Steuerraum wurde es immer kälter. Die Decke, die von einer dicken Schicht flüssigen Heliums bedeckt war, strömte furchtbare Kälte aus. Auf den Schaltpulten bildete sich Reif, der Atem wehte als weißer Dampf aus dem Mund, und in der Steuerungszentrale brodelte das Helium und überflutete bereits die höher gelegenen Automatensektionen. Durch den Riß im Panzer entwichen in jeder Sekunde Hunderte Kubikmeter Luft. Songgram versuchte, die Zentrifugalpumpen, die ferngesteuerten Sicherheitsklappen, die Ventile und das Hauptreservenetz für den Katastrophenfall in Gang zu bringen – vergebens.
Nun gab es noch eine Möglichkeit. Songgram wußte, daß das Helium, das sich in dem Raum über ihm als meterhohe Schicht angesammelt hatte, in den Steuerraum abfloß, wenn er die Ventilationsklappen an der Decke öffnete. Bevor das Gas diesen Raum füllen konnte, stieg die Temperatur unmerklich, aber doch so weit an, daß die Automaten wieder normal arbeiteten und den weiteren Zufluß absperrten. Da das elektrische Verteilernetz unterbrochen war, mußte er die Klappen selbst mit Hilfe der Speichenräder öffnen, die sich an der Seitenwand des Raumes befinden. Öffnete er nur eine Klappe, dann gelang es ihm, aus dem Steuerraum zu entkommen; aber es gab keine Gewähr, daß durch diesen Ausweg mehr Helium abfloß, als durch die geborstenen Rohre zuströmte. Und diese Gewähr mußte gegeben sein. Öffnete er sämtliche Klappen, dann konnte er sich nicht mehr in Sicherheit bringen. Flüssiges Helium vereist so rasch, daß ein Mensch, der darin versinkt, im Nu eine
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