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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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erkannte von weitem das eigenartige, verspätete Geschenk. Es war eine Handvoll rostroter, welker, stachliger Areosaflechten, der einzigen Pflanze, die auf dem Mars blüht.
Marathon
    „Die Menschen verehren den Weisen wegen seiner Liebe. Wenn sie ihm dies aber nicht sagten, dann wüßte er nicht, daß er sie liebt.“ Diese Worte eines alten Philosophen sind die beste und treffendste Charakteristik meines Vaters, eine viel bessere, als ich selbst jemals geben könnte. Mancher fragt sich: Habe ich den richtigen Beruf für mich gewählt? Bin ich glücklich in diesem Beruf? Befriedigt mich dieses Leben? und antwortet ohne Bedenken mit einem dreifachen Ja. Mein Vater hatte sich wohl niemals solche Fragen gestellt, sie waren ihm gar nicht in den Sinn gekommen, und er betrachtete sie sicherlich als ebenso sinnlos wie die Frage: Lebe ich?
    Seine Brüder dienten der menschlichen Gesellschaft durch ihre wissenschaftlichen Leistungen. Mein Vater tat das gleiche, und wenn sein Wissen versagte, wenn er den Kampf um das Leben eines Kranken aufgeben mußte, dann begleitete er den Sterbenden bis zu seinem letzten Atemzug, immer wieder tief erschüttert als Mensch, der mit ihm litt und starb. Seine Brüder freuten sich über die Erfolge ihrer Forschungen, und sie waren bedrückt, wenn sie einen Mißerfolg hatten. Mein Vater war und blieb stets der gleiche. Er stand immer unter dem Einfluß der Verantwortung, die allgegenwärtig war und dauernd auf ihm lastete und die für ihn und sein ganzes Wesen das war, was für uns alle die Schwerkraft der Erde ist, die uns zwingt, unsere Muskeln ständig anzustrengen, um die Schwere unseres Körpers zu überwinden, ohne die indessen unser Leben nicht denkbar wäre.
    Nach diesen Sommerferien, die sich meinem Gedächtnis besonders tief einprägten, verzichtete ich auf das mechanoeuristische Studium und wechselte zur medizinischen Fakultät über. Dieser neue Entschluß, den ich ebenso überstürzt faßte wie die vorhergehenden, war allerdings aus anderen Überlegungen gewachsen. Er war ein Versuch, zu den wirklichen Werten des Lebens vorzudringen, und zugleich eine Art Sühne gegenüber meinem Vater – ein naiver und gewiß übereifriger Versuch, schon deshalb, weil ich keinen Begriff davon hatte, was der Arztberuf eigentlich verlangt und was er bedeutet. Vielleicht rechtfertigt mich lediglich die Tatsache, daß ich das Studium beendete, ohne dabei mein Hauptziel, die Teilnahme an der Expedition in den Weltraum, aus den Augen zu lassen.
    Die Jahre des medizinischen Studiums brachten mich innerlich zur Ruhe.
    Von dem früheren Studium blieb nicht viel haften. Ich bewahrte einige Notizen, Zeichnungen und Projekte auf, tat dies aber nicht aus wirklichem Interesse oder einem tiefen inneren Bedürfnis, sondern um mir sagen zu können, daß ich all diese Jahre nicht ganz unnütz vertrödelt hatte. Meine Großmutter fand darin einen gewissen Trost, daß sich bei mir, obwohl ich nicht Künstler geworden war, doch ein wenn auch unerwartetes und ziemlich abseitiges Talent zeigte: Ich war an unserer Universität zu einem aufgehenden Stern der Leichtathletik geworden und erreichte im Langstreckenlauf immer bessere Zeiten. Ich wurde Studentenmeister des Kontinents und kurz vor dem Abschluß meiner Studien Meister der nördlichen Halbkugel. Als ich mein Diplom erhalten hatte, trat ich meinen Dienst als chirurgischer Assistent in der Klinik an. Ein halbes Jahr später wählte die Leitung der Expedition zum Alpha Centauri unter den Freiwilligen die Raumschiffbesatzung aus, und da bewarb ich mich als Assistent des Professors Dr. Schrey, der als Chefchirurg an der Expedition teilnahm. Ein gewisses Hindernis war meine geringe praktische Berufserfahrung. Da aber vor allem Menschen mit einer vielseitigen Ausbildung gesucht wurden, rechnete ich auf meine früheren Studien auf dem Gebiet der Kosmodromie und der Mechanoeuristik. Als ich mich meldete, erklärte mir einer der Astrogatoren, ich müsse Geduld haben und längere Zeit warten, denn der Zustrom an Freiwilligen sei sehr groß, und jede Meldung werde eingehend überprüft. „Aber“, schloß er lächelnd, „so eine Lektion in Geduld erweist sich für die Zukunft gewiß als sehr vorteilhaft, denn wir werden viele Jahre im Raumschiff verbringen müssen, bevor wir das Ziel erreichen.“ Wir werden, hatte er gesagt. Dies war zwar nur eine zufällige Redewendung, aber ich zehrte in den folgenden vier Monaten hoffnungsvoll und erwartungsfroh von diesen beiden

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