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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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es mit dem Blick nicht zu umfassen. Wieder kam es mir vor, als hörte ich in der tiefen Stille, die mich umgab, die feierlichen Akkorde der Abschiedssymphonie. Von dem pathetischen Gefühl dieser Vereinsamung, die mit jeder Sekunde größer wurde, war ich wie trunken. Ich dachte: Hier ist er, der Gefährte meiner letzten Nacht auf der Erde. Ich schwang mich auf eine der scharfen Kanten des Meteorits und ließ mich unter dem einen Auge des steinernen Riesen nieder. In Griffweite hinter mir glänzte matt und geheimnisvoll das gewölbte Lid. Meine Beine hingen in den nachtschwarzen Raum. Tief unter meinen Füßen breitete sich Meoria aus.
    Über das schier endlose Lichtermeer ragen zwei Wahrzeichen besonders hoch empor. Im Zentrum des alten Viertels der Wissenschaftler erhebt sich die gegen Ende des 21. Jahrhunderts errichtete Universität. Der gewaltige Bau hat so steile, den Himmel stürmende architektonische Linien, daß sie scheinbar ineinanderfallen. Aus ihnen spricht ein ungezähmter, ja freudiger Geist des Aufruhrs, eine Herausforderung an die Schwerkraft jener ersten Architektur, deren schöpferische Visionen die Epoche der Raketen und die scharfe Linie der Überschallflugzeuge und die Explosionskurven ihrer Aufstiege formte. In der Nähe dieses tausendjährigen Kolosses, der mit seinen himmelhohen Säulen die Gravitation verhöhnt, steht als zweites, neuzeitliches Bollwerk menschlichen Forschens und Wissens der Palast des Instituts für Mechanoeuristik. Neben seiner gesammelten, betonten Einfachheit, einer schwerelosen Konstruktion von erstarrten Lichtstrahlen, wirkt die Universität primitiv in dem stürmischen Ungestüm ihrer Formen, in denen die Tollkühnheit der damaligen Architekten in Erscheinung tritt, die den Baustoff bis an die Grenze seiner Festigkeit belasteten. Zehn Jahrhunderte lagen zwischen dem Entstehen dieser beiden Werke irdischer Baukunst. Doch was bedeutete dieser Zeitraum im Vergleich zu dem Alter des Meteoriten unter mir? Auf seiner matten, glänzenden Kruste, von der Glut verglast, die Planeten gebiert, ruhten in diesen Minuten zwei Menschen. Der eine, aus taubem Gestein, verkörpert alle jene, die niemals aus den Abgründen des Raumes zurückkehren, der andere, der lebende, sollte nach einem kurzen Erdentag in diese Abgründe aufbrechen. Welch eine Begegnung! Welch ein Kreis von Ereignissen schloß und öffnete sich zugleich, dem Unbekannten zugewandt… Das alles ging mir damals durch den Sinn. Ich stützte den Kopf in die Hand und starrte in die Finsternis. Da trat die steinerne Oberfläche meiner Umgebung, von flackerndem Glanz überflutet, immer deutlicher hervor. Über dem Institut für Mechanoeuristik entfaltete sich in der Luft eine leuchtende Draperie, die das Licht der Sterne auslöschte: Künstliches Polarlicht flammte von der Erde zum Himmel empor, ein umgekehrter, silbersprühender Wasserfall, auf dessen wogendem Hintergrund eine unsichtbare Hand in feurigen Riesenlettern schrieb:
Der Ball beginnt!
    In demselben Augenblick erbebten die Schlünde der Stadt und spien Hunderte, Tausende, Zehntausende Funkenwerfer, Raketen und bengalische Feuer aus, die über den höchsten Türmen aufflammten und verloschen. Aus den Parks stiegen Ballons in grotesken Formen und Gestalten, phantastische Masken, Fabeltiere und Fratzen auf. In dem silbrigen Halbdunkel zwischen dem Palast und der Universität zitterte ein Ameisengewimmel zwerghaft kleiner, grüner und violetter Ringe. Dort formierte sich der Maskenzug der Studenten. Die wirbelnden Propeller der Hubschrauber, an deren Enden die Lampen befestigt waren, bildeten diese leuchtenden Kreise. Unwillig betrachtete ich dieses Treiben, fühlte mich von diesen zudringlichen Lichtern beleidigt und kniff die Augen zu. Wenn die Erde, die mir schon so fern und gleichgültig war, wenigstens Rücksicht auf meine Erwägungen und Gedanken über die Unendlichkeit genommen hätte! Nein, sie lud mich ein, an dieser albernen, närrischen Karnevalsfeier teilzunehmen, heute, jetzt, in einem solchen Augenblick! Bis zu der Stelle, an der ich Zuflucht gesucht hatte, wehte der Wind die fernen Freudenrufe der Menge. Ich versuchte noch, meine tragische Einsamkeit zu retten; aber als ich daran dachte, wie stürmisch meine früheren Kollegen mich, den Olympiasieger, den Sternforscher, begrüßen würden, da tat es mir doch leid, daß ich nicht unter ihnen war. Eine Zeitlang kämpfte ich gegen diese Versuchung an. Dann stand ich auf, sprang mit beiden Beinen zugleich

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