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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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in zwei Tagen. Weshalb also diese unbegründete Hast? Die ganze Raketenfliegerei in dieser Nacht hatte keinen Sinn.
    Das war klar, und es war sehr vernünftig, daß ich mein Vorhaben, nach der Antarktis zu fliegen, aufgab. Aber als ich mich langsam von der Startbahn entfernte, auf der eben die Rakete heranglitt, bereute ich meinen Entschluß bereits. Ich stützte die Hände auf das Geländer und sah an den Signalmasten die grünen Lichter aufblitzen. Die Rakete glitt immer rascher aus der Halle, die roten Buchstaben an ihrem Rumpf verschwammen zu einem zitternden Band. Mit durchdringendem Pfeifen sauste das Projektil in die Tiefe des Katapults. Als es seine Mündung, die neunzehn Stockwerke höher lag, verließ, war es nur noch blitzschneller Flug, stieß zerfaserte Flammenfetzen aus und war eine Sekunde später in der Dunkelheit verschwunden. Ein warmer Hauch umwehte mein Gesicht, es roch nach heißem Eisen. Das Dröhnen verstummte – ich war allein. An den Startbahnen flammten über dem Spalier der Eingänge zu den Aufzügen helle Lichter auf. Hinter den Glaswänden wurde das Dunkel undurchdringlich, das zweite Abenddämmern dieses Tages erlosch.
    Auf die freien Gleise der Startbahnen glitten interplanetare Raketen, lange, walzenförmige Fische mit flachen Schädeln. In der Tiefe der Halle leuchteten die Angaben über die Flugziele auf:
Mond: Regenmeer, Apennin, Wolkenmeer, Südpol.
Start in vier Minuten.
    Die Menschen strömten zu den startbereiten Raketen. Eine Gruppe Mädchen, die von einer der oberen Plattformen kamen, hatten es so eilig, daß sie die langsam tiefergleitenden Stufen herabsprangen. Einem Mädchen ging die Tasche auf. Ein buntes Vielerlei von Kleinigkeiten fiel heraus. Das Mädchen machte eine hilflose Bewegung, wollte sich bücken, wurde aber durch die Rufe der anderen zur Eile gemahnt. Es richtete sich auf, machte eine verzichtende Handbewegung und lief den anderen nach zur Rakete. Kurz darauf erschienen die grünen Signale, die Luft erbebte, das dumpfe Dröhnen zeigte an, daß die Mondrakete gestartet war. Rings um mich war es fast menschenleer geworden. Ich ließ meinen Blick durch die Halle schweifen und zuckte überrascht zusammen, als ich das Datum sah, das über dem Globus des Informators leuchtete. Natürlich, heute war doch der Feiertag der Aufhebung der Grenzen! Daß ich daran nicht mehr gedacht hatte! Deshalb war meine Mutter in die Stadt geflogen! Ob die Großmutter wohl endlich ein neues Kleid angezogen hatte? Oder hatte ihre Scheu, wie immer, im letzten Augenblick gesiegt und hatte sie sich wieder in das alltägliche Violett gehüllt? Ob sie meinen Marathonlauf gesehen hatten? Sicherlich. Ich lenkte unterdessen meine Schritte dem Ausgang zu. Da stieß ich mit dem Fuß an einen Gegenstand; es war ein kleiner, goldgelber, mit bläulich schimmerndem Pulver bestreuter Ball, den das Mondmädchen verloren hatte. Mir tat es leid, dieses herrenlose Spielzeug in der weiten, von stetem Verkehr durchbrausten Halle liegenzulassen. Ich steckte das Bällchen in die Tasche. Die Blätter des Lorbeerzweigs knisterten leise. Rasch schritt ich auf den Ausgang zu. In seiner Nähe sah ich jemanden sitzen. Er verzichtete auf die bequemen Sessel, hatte es sich auf einem umfangreichen Paket bequem gemacht, die Beine weit von sich gestreckt, die Arme vor der Brust gekreuzt und pfiff ebenso laut wie falsch die Abschiedssymphonie.
    Was für ein Tölpel mag das nur sein? dachte ich. Wir blickten uns an und stießen gleichzeitig einen erstaunten Ruf aus. Peutan war es, mein ehemaliger Studienfreund aus der Zeit, da ich mich mit der Mechanoeuristik befaßt hatte. Ein wirres Durcheinander von Fragen und Antworten folgte, einer zog den anderen am Ärmel, trat einen Schritt zurück, einen Schritt vor, einer klopfte den anderen freundschaftlich auf die Schulter. „Weißt du noch, wie der Professor…?“–„Weißt du noch…?“
    „Das ist aber eine Überraschung“, rief ich schließlich. „Aber, sag mal, was machst du eigentlich um diese Zeit hier, noch dazu an einem Feiertag?“
    „Ich warte auf Nita. Sie kommt heute zurück. In einer knappen Stunde ist sie da. Ich habe sogar schon mit ihr gesprochen.“
    Nita war sein Mädel. Sie hatte ein Jahr zuvor ihr Studium beendet und war nun sechs Monate lang zur praktischen Ausbildung auf der kosmodromischen Station Titan, einer der entlegensten des Sonnensystems, gewesen.
    „Ich freue mich sehr“, sagte ich und fühlte, daß diese Worte keineswegs der Wahrheit

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