Gast im Weltraum
aus. Dann hielt der rollende Gehsteig. Bald schimmerte die blaßgrüne Lichtkugel der Endhaltestelle weit hinter mir. Ich schlenderte ziellos dahin und empfand angenehm den weichen, feuchten Boden unter meinen Füßen. Hinter dem Parktor umfingen mich alte Bäume. In der Stadtmitte hatte der strahlende Lichterglanz der Straßen den Himmel verdunkelt, es schien bereits Nacht zu sein. Hier aber sah ich das tiefe, noch sternenlose Blau des Firmaments. Im Westen erlosch das von einem silbrigen Nebel umschleierte Abendrot. Es war die Stunde, in der auf den Bänken, die am weitesten von Laternen entfernt sind, verliebte Menschen sitzen und einander Worte zuflüstern, die niemand auf der Erde kennt, obgleich man sie manches Mal selbst gesprochen hat. Es ist sonderbar: Der Inhalt solcher Gespräche und Begegnungen entschwindet dem Gedächtnis, verflüchtigt sich wie verdampfender Äther, und nur ein betäubender, herbsüßer Bodensatz bleibt zurück, die Erinnerung an eine Stimmung, die bis an den Rand mit Erwartung gefüllt ist, die Erinnerung an große, dunkle, weit geöffnete Augen ganz nahe dem eigenen Gesicht, und an ein Geflüster, das außer dem Duft des Atems, des Tones, des Vibrierens der Stimme nichts bedeutet, wie Musik, die scheinbar nichts, in Wirklichkeit aber alles aussagt.
Ich ging quer durch den Park. Über den nachtdunklen, schwarzen, stummen Bäumen ragten in der Ferne die hellen Fassaden der Hochhäuser auf. Durch die Alleen wanderten engumschlungene Paare und setzten sich auf leere, dunkle Bänke, fern von den Lampen, die durch das Gezweig schimmerten. Ich wandte den Blick ab, schritt steif vorüber und fühlte, wie sich meine Hände ballten und schwer wie Steine in den Taschen lagen. Selbst als ich den ganzen Park durchquert hatte und auf die einsame Uferstraße mit ihrer Perlenkette von Lichtern hinaustrat, die sich im Wasser widerspiegelten, vermochte ich das Bild dieser engumschlungenen Gestalten nicht loszuwerden, die dunkler waren als die Nacht und sich selbstvergessen in einer Umarmung verloren, als wollten sie die letzten Grenzen zwischen zwei Menschen niederreißen. In meinem Kopf erklangen von neuem die ersten vier hohen Töne der Abschiedssymphonie.
Ich blieb am Ufer stehen. Der Fluß umschloß hier mit sanfter Biegung die lichterflammende Stadt. Unter mir strömte das Wasser glatt, lautlos dahin und wiegte die Spiegelbilder der Straßenlaternen und der fernen Lichter mit unendlicher Sanftmut. Ich zog die Hand aus der Tasche, öffnete die Faust. Ein zerdrücktes Lorbeerblatt glitt zu Boden.
Was für ein Dummkopf bist du doch! dachte ich und ging rasch weiter. Über der Flußwindung erhebt sich einige hundert Meter hoch das uralte Grabmal des unbekannten Kosmonautikers. Die stumpfe Pyramide dieses Denkmals beherrscht die ganze Stadt. Früher war es das beliebteste Ziel meiner Jugendwanderungen. Fast unbewußt lenkte ich meine Schritte zu der Treppe, die zu der Plattform hinaufführt. Kaum trat ich auf die erste Stufe, da setzte sie sich geräuschlos in Bewegung und trug mich aufwärts. Ich hatte unwillkürlich das Gefühl, als verließe mich die Stadt mit einem unendlich zarten, aber beharrlichen, unnachgiebigen Gleiten, als entwiche sie unter meinen Füßen, um mit den weithin leuchtenden Hochhäusern am Horizont zu verwachsen. Die Treppe hielt, ich war auf dem flachen Gipfel der Pyramide angelangt und stand nun vor dem Denkmal des Kosmonautikers.
Auf dem mächtigen Block eines Meteoriten, der schwarz ist, als wäre das ganze Dunkel der Abgründe des Alls in ihm eingebrannt, durch das er seit Urzeiten kreiste, liegt ein Mensch. Am Tage kann man diesen gestürzten Koloß von allen Straßen und Plätzen aus sehen. Unter seinen Schultern ragt das Bruchstück einer Rakete hervor und weist mit einer scharf en Zackenspitze wie ein Pfeil in die Richtung, aus der er herabgestürzt ist. Jetzt hatte der Riese im Widerschein der Lichter in der Stadt seine Menschengestalt verloren. Die Falten seines steinernen Skaphanders warfen Schatten wie die Risse einer Felswand. Menschlich war nur der entblößte, schwere, kraftlos nach hinten geneigte Kopf, der mit der Schläfe auf einem Vorsprung des Meteorblocks ruht. Meine Tritte verhallten auf den Granitplatten wie in verdünnter Luft. Hinter dem Rumpf des Kosmonauten herrschte tiefstes Dunkel. Ich umschritt die Gestalt und stand plötzlich, unerwartet seinem Gesicht gegenüber. Es erhob sich über mir so groß, so gewaltig wie ein Felssturz. Ich vermochte
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