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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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dachte ich, falls sich im verlängerten Rückenmark Blutergüsse befinden, dann ist unsere verzweifelte Anstrengung zwecklos. Alle diese Gedanken schossen mir durch den Kopf. Trotzdem befolgte ich die Weisung Schreys. Das Gehirn zog sich langsam zurück. Der Kreislauf besserte sich allmählich. Zehn Minuten später konnte ich das künstliche Herz abschalten. Ich vernähte die Öffnung und die Wunde, die durch die Tracheotomie verursacht worden war, nur provisorisch. Dem Bewußtlosen wurde nun immer mehr erwärmtes Blut mit Glykose und Eiweiß zugeführt. Schrey hatte seine operativen Eingriffe ebenfalls beendet. Die Schadeidecke wurde geschlossen. Von oben sanken metallene Tampons herab, die wie Aluminiumfolie aussahen. Der Nähapparat tickte. Noch einmal spülten Ejektoren die Wundränder ab, dann leuchteten die großen weißen Lampen an der Decke auf, die Bildschirme erloschen.
    Schrey stand auf – nein, er taumelte von dem Pult hoch. Ich hielt ihn am Arm fest. Seine Lippen bebten, er bemühte sich zu sprechen, meine Hilfe abzuwehren. Ich glaubte, die geflüsterten Worte zu verstehen: „Ich will allein…“Es klang wie ein Seufzer. Aber ich ließ ihn nicht los. Anna trat zu uns, und so kamen wir zu dritt hinter der Schutzwand hervor.
    Auf der Tafel lag der nackte Körper des Jünglings. Von kleinen Füßen wuchs er ebenmäßig zu den schmalen, sehnigen Hüften, die die Bogen und Wölbungen des Rumpfes trugen. Der Hals stützte wie ein starker weißer Stengel den leicht zur Seite geneigten, von Bandagen beschwerten Kopf. Die Lider waren zum Schlaf geschlossen. Die schwachen Atembewegungen vertieften und verflachten abwechselnd den Schatten der Schlüsselbeine. Wir blieben regungslos stehen. Der Brustkorb erweiterte sich, die Rippen spielten. Man sah, daß das Blut wieder in unsichtbaren Strömen den Körper durchspülte. Eine große, tiefe Freude erfüllte mich. Nun erst sah ich die Schönheit, die wir vor der Vernichtung gerettet hatten.
Der Pilot Ameta
    Die ersten Astronauten, die vor elfhundert Jahren auszogen, den Kosmos zu erobern, dachten sich den Weltraum als eine schwarze, sternflimmernde Tiefe, die der Ring der Milchstraße in zwei Teile spaltet. Sie wußten, daß die Sternbilder, die ihnen von der Erde her vertraut waren, zu ausgedehnten Wolken ewig leuchtender Feuer werden würden, die wie kantige, riesige Blöcke über den Abgründen des Nichts hängen. Ihre Erwartungen erfüllten sich. Gleichzeitig erfuhren und erlebten sie all das, was sich niemand vorstellen kann, der nicht selbst zwischen den Sternen im Weltraum war.
    Die Seefahrer des Altertums segelten über die Meere, die Flieger durchquerten den unermeßlichen Raum der Atmosphäre, die ersten Erforscher der Polargebiete besangen die grenzenlose Weite des „Weißen Schweigens“. Was waren aber all diese irdischen Größenwerte im Vergleich zu der Leere, in der Milliarden Welten leuchten? Es stimmt nicht, daß ein großer Raum von gleicher Art ist wie ein kleiner, wie ein chinesischer Philosoph in einer uralten Parabel sagt. Die auf der Erde entstandenen, mit ihr verbundenen Empfindungen, Gewohnheiten, Erwartungen und Hoffnungen schwinden bei der ersten Berührung mit der Unendlichkeit.
    Hier ist es unmöglich, Entfernungen auch nur annähernd zu schätzen. Ein aufblitzender Lichtfunke kann ebensogut das Scheinwerferlicht eines in der Nähe vorbeifliegenden Raumschiffes wie auch ein Stern sein, der seine Strahlen Trillionen Kilometer weit sendet. Gegenstände tauchen, vom Sonnenlicht getroffen, unerwartet auf und verschwinden, als wären sie nicht vorhanden, ebenso plötzlich, wenn sie aus dem Bereich der Sonnenstrahlen in den Schatten eines Himmelskörpers geraten. Zugleich geht das Gefühl für Bewegung verloren. Eine Rakete kann stillstehen oder sich mit höchster Geschwindigkeit fortbewegen – der Sternhimmel bleibt unbeweglich. Jede Richtungsänderung der Rakete, jede Wendung erscheint nur als Bewegung des Sternhimmels. Alle Sinne vereinigen sich, um diese Täuschung vollkommen werden zu lassen. Auf der Erde bringt die wohltätige Wirkung der Luftperspektive jeden Gegenstand an der richtigen Stelle der Raumskala unter und mildert die Schärfe der Konturen fernen Geländes. In der Leere des Weltraumes sind die Dinge entweder sehr gut oder nicht zu sehen. Dort fehlen die Übergänge, die Schattierungen, die Halbtöne. Es gibt nur gleißende Helligkeit oder absolute Finsternis.
    Die Seefahrer des Altertums machten sich kaum Gedanken über

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