Gast im Weltraum
blitzte, schimmerten die beiden Magellanschen Wolken. Das Licht der großen braucht etwa achtzigtausend Jahre, um den Weg zu uns zurückzulegen. Sie besteht aus ungefähr fünfhundert Millionen Sonnen und hebt sich von dem schwarzen Grund wie ein zarter, weißer Nebelfetzen ab. Wie ihr Ebenbild, das von einem unendlich weit entfernten, dunklen Spiegel reflektiert wird, leuchtet, kaum noch sichtbar, die Kleine Magellansche Wolke, umgeben von den Schleiern außergalaktischer Nebel. Diese beiden Satelliten unserer Milchstraße ziehen in einer seit Millionen Jahren stets gleichen Entfernung, von den Kräften der Gravitation gehalten, ihre Bahn.
Die Sicht wurde besser, als wir unser Sonnensystem verließen; denn dort kreisten Staubteilchen, die das Licht verdunkelten. Bald begann sich das Deck zu leeren, und schließlich war ich allein. Die Schau in die Sternwolken fesselte mich. Ich glaubte, die physische Anstrengung meines Blickes zu spüren, der mit den endlosen Räumen rang. Das Bild blieb stets das gleiche, aber es langweilte oder ermüdete mich nicht – vielleicht, weil es immer neue Gedanken wachrief, die ich heute nicht mehr in Worte kleiden könnte.
Die Sterne leuchteten – nicht veränderlich, flimmernd, kapriziös wie in irdischen Nächten, sondern mit einem so gleichbleibenden unbewegten Licht, als wären sie Funken, die an schwarzen, eisigen Hüllen befestigt sind.
Auf einmal vernahm ich in meiner Nähe ein Flüstern. Ich wandte mich um. Ungefähr zwei Schritt entfernt stand ein Mann, der wie ich in die Leere starrte. In der Dunkelheit, die auf dem Deck herrschte, erkannte ich nur, daß er ungefähr einen Kopf kleiner war als ich. Ich glaubte, einen jungen Burschen vor mir zu haben. Gleich darauf hörte ich ihn halblaut sagen: „Dort schlägt das Herz der Galaxis…“ Mit einer Handbewegung, die ich mehr ahnte als sah, wies er auf die Himmelsgegend, in der die Sternbilder des Schützen, des Schlangenträgers und des Skorpions einander treffen. Der Schütze, die hellste Sternwolke, schwebte genau über uns.
Mein unbekannter Gefährte sprach weiter leise vor sich hin. Als ich mich an den monotonen Klang seiner Stimme gewöhnt hatte, konnte ich die einzelnen Worte verstehen. Er nannte die Namen der verschiedenen Sternbilder, aber nicht wie ein klassifizierender Astronom, sondern wie ein Mensch, der sich an seltenen Stücken einer Sammlung erfreut. „Die Segel“, murmelte er, „der Skorpion, das Südliche Dreieck, das Chamäleon, die Fliegenden Fische, das Netz… Wieviel Phantasie hatten doch unsere Vorfahren“, sagte er auf einmal lauter, als führe er in einem unterbrochenen Gespräch fort. „Was sahen sie nicht alles in diesem Chaos von Lichtern! Ich versuche unablässig, Figuren, Gegenstände aus ihnen zu formen, die diesen Namen entsprechen. Aber es gelingt mir nicht.“
Der helle Klang seiner Stimme und die Tatsache, daß er die Sterne Lichter nannte, bestärkte mich in der Überzeugung, einen jungen Mann vor mir zu haben. Ich antwortete nicht; denn er sprach noch immer, wenn auch laut, wie zu sich selbst. Dann sagte er, ohne mich anzusehen: „Du bist Arzt, nicht wahr? Sag mal, wie geht es unserem neuen Gefährten?“ Als ich schwieg, da ich nicht gleich wußte, wen er meinte, fügte er hinzu: „… dem jungen Menschen vom Ganymed, den ihr operiert habt.“
„Er lebt, ist aber noch bewußtlos“, antwortete ich abweisend. Er könnte sich wenigstens vorstellen, wenn er einen älteren Gefährten anspricht, dachte ich. Um ihm eine kleine und, wie ich glaubte, verdiente Lehre zu erteilen, fragte ich ein wenig schroff: „Wer bist du eigentlich?“
„Ich?“ Seine Frage klang erstaunt, ja etwas befremdet. „Ich bin der Pilot Ameta.“
Ich war überrascht. An Bord der Gea hatten wir ungefähr vierzig kleinere Raketen. Besonders geschulte Freiwillige – Techniker, Physiker und Ingenieure – sollten sie steuern. Auf der Erde widmeten sich nur noch verhältnismäßig wenige Menschen dem Pilotenberuf. Sie arbeiteten in den wissenschaftlichen Instituten für Lichtgeschwindigkeit. Fünf oder sechs von ihnen nahmen an unserer Expedition teil. Der bekannteste war Ameta, der einzige, soviel ich weiß, der bei einem Probeflug die Geschwindigkeit von 190000 Kilometern in der Sekunde überschritten hatte und trotz schwerer Störungen des Organismus am Leben geblieben war. Meine Überraschung war um so größer, da ich mir ihn stets als einen großen, athletisch gebauten Menschen vorgestellt hatte.
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