Gast im Weltraum
schoben sie in den Fahrstuhl. Die Tür schloß sich, und wir glitten in die Höhe.
Im Operationssaal brannten bereits alle Lampen. Anna kam uns entgegen. Als wir die Bahre neben der angewärmten Metallplatte abgesetzt hatten, erschien Professor Schrey. Ich wollte beiseite treten, aber er sagte hastig: „Nein, nein, arbeiten Sie weiter, beeilen Sie sich.“
Ich beugte mich tief über den Verunglückten und zertrennte die äußere und die innere Schicht der Kombination. Anna war mir behilflich. Unter den scharfen Schneiden der Schere zerbrachen die Rollen der Versteifungsspiralen. Noch einige Schnitte, die zerdrückte Hülle glättete sich und glitt zu beiden Seiten von der Tragbahre zu Boden. Vor uns lag nackt, bewegungslos ein bewußtloser Mensch.
Schrey trat an die Platte heran. Einige Sekunden betrachteten wir in tiefem Schweigen den Verunglückten. Er war jung, vielleicht zwanzig Jahre alt, sein helles Haar war blutverklebt. Seine schutzlose, hilflose Nacktheit kontrastierte auffallend zu der dunklen Hülle, in der er gesteckt hatte und die nun wie eine abgezogene Tierhaut auf den Fußboden herabhing. Violette Ringe zeichneten sich kaum sichtbar auf Brust, Leib und Schenkeln ab, dort, wo sich im Augenblick des gewaltsamen Anhaltens der Rakete die Trichter der Druckleiter in den Körper gepreßt hatten. Die ausgebreiteten Arme hingen über den Rand der Platte. Das Gesicht war blutleer, ein bläulicher Schatten lag in den Gruben der Schlüsselbeine, die wie aus Alabaster geschnitzt schienen. Der Pulsschlag war kaum zu spüren.
Schrey legte unendlich vorsichtig die Muschel des Elektrophonendoskops an das Herz. Dann zog er die beweglichen Röntgenschirme herunter und schaltete alle Lampen aus. In dem plötzlichen Dunkel flimmerten die grünlichen Flächen der Schirme. Wir beugten uns über sie. Alle Gelenke, Knochen und Gliedmaßen waren unverletzt. Schrey schaltete das Licht wieder ein und schob die Schirme beiseite, die geräuschlos zur Decke emporglitten.
Nun näherte sich der offene Helm des Elektroenzephalographen, der wie eine leere Nußschale aussieht, und legte sich über den Schädel des Bewußtlosen. Die Ströme in den Verstärkern brummten. Schrey untersuchte das Gehirn. Auf einmal sagte er: „Bitte, die Herztätigkeit aufrechterhalten.“
Ich gab das erforderliche Zeichen. Von zwei Seiten neigten sich silberne Halter mit gebrauchsfertigen Injektionsspritzen über den Körper. Die Nadeln bohrten sich in die blasse Haut der Unterarme. Die Flüssigkeit in den Glaszylindern sank rasch.
„Blut?“ fragte Anna.
„Nein.“
Eine Bluttransfusion war unmöglich. Als der mit dem Kopf voranfliegende Körper des Piloten zugleich mit der Rakete so gewaltsam und plötzlich in seiner Vorwärtsbewegung gehemmt wurde, schossen seine inneren Organe und das Blut nach vorn und preßten sich entsprechend dem Trägheitsgesetz im Brustkorb zusammen. Die stoßmildernden Einrichtungen konnten nur teilweise entgegenwirken. Sie übten zu diesem Zweck einen plötzlichen Druck auf die Brust aus, schnürten den Hals ein, waren aber gegen den jähen und gefährlichen Druckanstieg im Gehirn machtlos. Wir mußten damit rechnen, daß zahlreiche Blutgefäße im Hirn geplatzt waren.
In Abständen von einigen Sekunden überflog den reglosen Körper ein leichtes Zucken. Ich nahm an, daß es sich um klonische Zuckungen handelte. Die Hirnrinde mußte also schwer beschädigt sein. Der Fall war offenbar hoffnungslos.
Schrey beugte sich über den Schirm des Enzephalographen. Er allein sah am Verlauf und am Verhalten der vibrierenden Kurven der verstärkten Bioströme, was im Gehirn des Bewußtlosen vor sich ging. Anna und ich beobachteten gespannt das Gesicht des Professors. Vorderhand konnten wir nichts tun als warten. Ich bemühte mich vergeblich, in Schreys Miene zu lesen; aber als ich in diesen Sekunden meinen Blick auf das Gesicht des alten Chirurgen konzentrierte, da stellte ich erstaunt fest, daß es schön war.
Der Professor hat einen großen Schädel. Aber diese Größe wirkt nicht plump oder wuchtig, sondern leicht und schlank wie das Gewölbe eines gotischen Doms. Die Augenlider waren halb geschlossen und ließen nur scharfe, dunkle Spalten frei. Das geneigte Gesicht war ausdruckslos – ich glaubte, eine leblose Maske vor mir zu haben, hinter der sich sein wirkliches Gesicht, ein Antlitz voll innerer Sammlung, verbarg. Ebenso plötzlich, wie der Professor in dieser Haltung erstarrt war, richtete er sich wieder auf und
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