Gauß: Eine Biographie (German Edition)
entgegen … Von ganzem Herzen der Ihrige C. F. Gauß»
7. Häusliches Glück
In Braunschweig aber hält offenbar ein hartnäckiges Gerücht Johanna Osthoff davon ab, sogleich zu dem Geliebten zu eilen und ihm – so schicklich, wie es die Anstandsregeln gerade noch gestatten – in die Arme zu sinken. Denn in den Salons, auf Marktplätzen und in ähnlichen Nischen der Redseligkeit und Klatschsucht gehen, wie immer, wenn es um die Brautwahl der lokalen Prominenz geht, aus bloßen Vermutungen die schillerndsten Seifenblasen hervor, die schon beim zweiten Weitererzählen als reine Wahrheiten in die Welt hinausposaunt werden. Angeblich ist Gauß nämlich bereits mit einem «wohlgebildeten jungen Frauenzimmer von großem Vermögen» [Hän: 70] heimlich verlobt. Hänselmann als intimer Kenner auch solcher Braunschweiger Verhältnisse, die es nicht in sein offizielles Stadtarchiv schaffen, konnte noch mit den letzten lebenden Augen- und Ohrenzeugen sprechen. Daher glaubt er zu wissen, Johanna habe ihren Carl den ganzen Sommer über zappeln lassen, bevor sie ihm versichert, sie habe ihn bereits geliebt, als sie in Köppes Garten als irdischer Stern ins Blickfeld seines Sextanten trat.
Zwischen Carl Friedrich Gauß und Wilhelm Olbers besteht seit Januar 1802 ein anregender Gedankenaustausch. Er ist von einem auffallend herzlichen Ton geprägt. Beide warten sehnsüchtig auf die Post des anderen, versichern sich großzügig ihrer gegenseitigen «Liebe», üben sich in Bescheidenheit, wenn es um die eigene Person geht, erheben aber den jeweils anderen in den Olymp der Astronomen. Fünf Jahre lang bespricht Gauß mit dem zwanzig Jahre Älteren jeden Schachzug, der seine beiden Zukunftsoptionen betrifft, die Sternwarte Braunschweig und die Professur in Göttingen. Er selbst hält sich dabei allerdings vornehm zurück und lässt Olbers, Zimmermann, Zach, den Herzog und die Göttinger Professoren Heyne und Heeren abwechselnd und simultan um ihn buhlen. Und im Hintergrund, als stets präsente Drohkulisse für alle Beteiligten: die weitgeöffneten Tore der russischen Akademie der Wissenschaften. Entsprechend freundlich sind die Antwortbriefe aus Braunschweig in ihrer Schwebe zwischen Zusage und Absage formuliert, so dass die Russen bis 1807 immer wieder neue Versuche unternehmen, Gauß an die Newa zu holen. Insgeheim aber hat er diese Option längst abgeschrieben. Die Furcht vor Heimweh ist zu groß, und die Aussichten auf genügend Zeit für eigene Forschungen sind gering. Der weltmännische, kluge Arzt und Astronom aus Bremen macht Vorschläge über Verhandlungsstrategien auf mehreren Ebenen, die Gauß dann im nächsten Brief absegnet, damit Olbers sie in die Tat umsetzen kann.
Um alle Fäden selbst in der Hand zu behalten, den Partnern aber zu suggerieren, man diskutiere auf Augenhöhe, sind allerlei Geheimabsprachen nötig. So lässt Olbers beispielsweise Professor Heeren in Göttingen bestimmte Informationen «sub rosa», also unter dem Siegel der Verschwiegenheit, zukommen. Er muss sich sicher sein, dass Zimmermann in Braunschweig nichts davon erfährt, damit das Sternwartenprojekt nicht gefährdet ist. Gauß darf also in manchen Verhandlungsphasen seinem «Pflegevater» Zimmermann nicht jedes Detail offenbaren, etwa wenn Olbers den Hofrat lieber zu einem strategisch günstigeren Zeitpunkt ins herzogliche Schloss dirigieren will, als der selbst es für opportun hält. Solche kleinen Verschwörungen schweißen natürlich zusammen. Es scheint ohnehin, als habe Olbers zu diesem Zeitpunkt dem alten Herrn seinen «lieben Pflegesohn» bereits ausgespannt. Gauß selbst bleibt dabei geschickt im Hintergrund und lässt die anderen für ihn schreiben, tagen und verhandeln. Vor allem, wenn der Herzog höchstpersönlich ins Spiel kommt, möchte er nicht selbst mit Forderungen oder Trümpfen in der Hinterhand auftreten. Als gegen Ende des Jahres 1804 eine Professur in Göttingen der immer noch nicht Gestalt annehmenden Sternwarte von Braunschweig der Vorzug zu geben wäre, hält Gauß dies für «einen delikaten Punkt, den ich lieber von Anderen angedeutet sähe» [Olb1: 242]. Zum zweiten Mal in seinem Leben geht es darum, die Einwilligung des Herzogs zu bekommen, ihn nach Göttingen ziehen zu lassen. Dieses Mal hätte er lieber väterliche Freunde an seiner Seite, wenn er Carl Wilhelm Ferdinand persönlich gegenübertreten und Farbe bekennen muss. Doch das Auf und Ab nimmt einfach kein Ende. Der Herzog will definitiv eine Sternwarte in
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