Gauß: Eine Biographie (German Edition)
ein paar Tagen ist’s gelungen – aber nicht meinem mühsamen Suchen, sondern bloß durch die Gnade Gottes möchte ich sagen. Wie der Blitz einschlägt, hat sich das Räthsel gelöst» [Olb1: 268 f.]. Wenngleich es ihm unmöglich erscheine, fügt er hinzu, den maßgebenden Unterschied zwischen früheren Versuchen und jener Bemühung anzugeben, die ihm schließlich zum Erfolg verholfen habe.
Olbers reagiert erstaunlich verhalten auf diesen Durchbruch, so wie er später ungewohnt kühl die Nachricht aufnimmt, dass die Arithmetischen Untersuchungen ins Französische übersetzt werden sollen. Insgeheim mag er befürchten, der Freund könne wieder ganz zur Mathematik umschwenken und der astronomische Dialog mit ihm ins Stocken geraten. Doch diese so heftig wiederaufflammende Leidenschaft für die reine Mathematik verglüht schon bald wieder im astronomischen Alltagsgeschäft und in den Vorbereitungen zu einer Feier, die am 9. Oktober 1805 «ohne Geräusch vollzogen [wird und] mich mit meiner geliebten Braut auf immer vereinigen soll. Sie ist so gut und hat mich so aufrichtig lieb, dass mir für dieses Verhältnis kein Wunsch übrig bleibt» [Olb1: 274]. Endlich kann Familienvater Olbers Johannas Angetrauten auch schon mal foppen und ihn zur Beobachtung eines neuentdeckten Kometen aufscheuchen, natürlich erst, «sobald der junge Ehemann das angenehme Bett verlassen kann …» [Olb1: 277]. Die Wohnung im Ritter’schen Haus am Steinweg 1917 hat zwei große und zwei kleine Kammern, Küche, Keller und eine große Diele. Seinem Patenonkel zahlt Gauß dafür 100 Taler Jahresmiete [Küs 2 : 31].
Die Arbeit an seinem Buch setzt er mittlerweile «ex professo» und «con amore» fort. Im Juni 1806 ist Olbers während einer sommerlichen Rundreise auch in Braunschweig zu Gast. In der Wohnung des jungen Ehepaars – Johanna ist im siebenten Monat schwanger – kann er sich die Vorschläge und Grundrisse für die Braunschweiger Sternwarte ansehen, die Zach wenige Tage zuvor entworfen hat. Das totgeglaubte Pflänzchen erlebt – so scheint’s – eine letzte Blüte. Es sind ja keine besonders elaborierten Pläne, die Zach da geschickt hat. Im Begleitbrief spricht der Baron fast ausschließlich von noch einzufügenden Verbesserungen, die er aber erst in Angriff nehmen wolle, wenn der Herzog den Bau nach seinen Vorstellungen endlich bewilligt und das Geld dafür angewiesen habe. Die Kommunikation zwischen dem Herzog und Zach scheint nachhaltig gestört zu sein, denn Carl Wilhelm Ferdinand hat inzwischen seinen Oberbaudirektor Peter Joseph Krahe mit einem Entwurf beauftragt. Die nicht unwichtige Frage nach der Wohnung des designierten Sternwartendirektors Gauß und seiner Familie beurteilt Zach ebenso burschikos wie unrealistisch: «Vielleicht hat Ihr Herzog auf dem Gänsewinkel ein Haus, das sich dazu schickt; wo nicht, so kauft oder baut sich dieser reiche Herzog eines. Es trägt zur Verschönerung der Stadt bei und er stiftet seines großen Namens ewigen Gedächtnis im Himmel so wie auch auf Erden. Amen, so wird es auch sein!» [Bre: 30]. So lieblos ist Zach anfangs nicht bei der Sache gewesen. Nun aber nimmt das Braunschweiger Sternwartenprojekt wunderliche Züge an.
Dieser Herzog hat augenblicklich allerdings ganz andere Sorgen. Davon kann Gauß Wilhelm Olbers nun brühwarm selbst erzählen, war er doch erst kürzlich im Schloss, um sich bei seinem Fürsten für die Anschaffung eines vorzüglichen Teleskopspiegels zu bedanken, wie ihn Wilhelm Herschel persönlich nicht besser hätte schleifen können. Der Herzog habe ihn in düsterer Stimmung empfangen und sei nicht sehr zugänglich gewesen, erschreckend gealtert und niedergedrückt von der Last, die ihm als Bündnispartner des Königs von Preußen auferlegt sei. Im ersten Koalitionskrieg gegen Frankreich ist der Braunschweiger Herzog als Oberbefehlshaber des preußischen Heeres gescheitert. Im mittlerweile dritten Koalitionskrieg haben es England, Russland und Schweden mit Napoleon Bonaparte zu tun. Koalitionspartner Österreich ist ein halbes Jahr zuvor schon in Austerlitz vernichtend geschlagen worden. Überall in Deutschland stehen die Truppen Napoleons, dessen «Ländergier», so formuliert es Gauß, ganz Europa in Angst und Schrecken versetzt. Bisher hat es der Braunschweiger Herzog verstanden, sein Fürstentum aus dem Konflikt herauszuhalten. In dieser weltpolitisch bedeutsamen Lage erscheint es Gauß völlig absurd, ein persönliches Anliegen wie den Sternwartenneubau
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