Gauß: Eine Biographie (German Edition)
Braunschweig bauen lassen, ist pikiert über Zachs Untätigkeit in dieser Hinsicht und gewährt Gauß freie Hand bei der Anschaffung der ersten Instrumente.
Im September 1804 hat Carl Ludwig Harding an der Lilienthaler Sternwarte den dritten Kleinplaneten zwischen Mars und Jupiter entdeckt. Eigentlich ist Gauß mit der Arbeit an den Bahnstörungen von Ceres und Pallas ziemlich ausgelastet. Aber wer sonst könnte schon so schnell und zuverlässig die rätselhaften Wege des neuen Himmelskörpers mit seinem ingeniösen Verfahren berechnen? Dieses «Granitgerippe» – wie Olbers die Neuentdeckung provisorisch nennt – erhält nun endlich den Namen der Göttermutter, den Gothas Herzog Ernst II. schon für Ceres reserviert gehabt hat. Allerdings tauft Harding die griechische Hera in die römische Entsprechung Juno um. «Mit der größten Ungeduld sehne ich mich nach einer Reihe von Beobachtungen, die hinreichend sind, um nur erst ein rohes Urtheil über die wahre Bahn dieses merkwürdigen Sternes zu wagen», schreibt Gauß an Olbers [Olb1: 204]. Sein eigenes Fernrohr ist zu schwach, um ihm die Juno für brauchbare Auswertungen ins Blickfeld zu rücken. Sollte Stadtarchivar Hänselmann recht haben und Johanna wirklich drei Monate lang schweigen, dann sehnt Gauß sich in diesen Septembertagen aber nicht nur nach Junodaten, sondern vor allem nach einer Antwort seiner Auserwählten. Ihr hat er die Entscheidung über sein «Lebensglück» anvertraut. Da ist Flucht in die Arbeit offenbar die einzig angemessene Reaktion. Es wird ein Kopfsprung in eine wahrhaft astronomische Zahlenflut, die nach 16 Beobachtungstagen aus Europas Sternwarten in die kleine Wohnung gegenüber dem Schloss seines Mäzens schwappt.
Wilhelm Olbers ist der erste bedeutende Astronom, der nach der Entdeckung Junos bereit ist, den von Herschel vorgeschlagenen Begriff «Asteroid» für die Himmelskörper zwischen Mars und Jupiter anzunehmen. Sie sollten sich als «eigene Gattung» von den Hauptplaneten unterscheiden, «besonders da wir deren noch wahrscheinlich eine ziemliche Menge auffinden werden» [Olb1: 215]. Eine geradezu prophetische Aussage, denn nicht umsonst heißt die Zone zwischen Mars und Jupiter heute Asteroidengürtel mit vielen hunderttausend planetenähnlichen Objekten. Er möchte wissen, was Freund Gauß von seiner These hält, nach der Ceres, Pallas und Juno drei Splitter eines früheren Planeten sein könnten, der mit einem Kometen zusammenstieß. Mit dieser Spekulation kann Gauß sich offensichtlich nicht anfreunden. Er weist sie höflich zurück und geht so weit, Olbers’ vorsichtiges Umschwenken auf den Asteroiden-Begriff vollständig zu ignorieren – ein auffälliges Verhalten, wo beide sonst jede Zahl und jedes Detail des anderen ausführlich kommentieren. Olbers hat den Wink verstanden und schwenkt im Lauf der weiteren Korrespondenz wieder auf die kontinentaleuropäische Sprachregelung «Planet» für Ceres, Pallas und Juno um.
In den nächsten Wochen und Monaten konzentriert sich Gauß auf die Darstellung seines neuen Verfahrens zur Berechnung von Planetenbahnen, denn die Astronomenkollegen bitten ihn immer häufiger voller Ungeduld um Aufklärung. Gern würden sie selbst die offenbar überlegene Methode anwenden. Doch mitten in diese schwierige Vorbereitungsphase für ein neues Buch platzt ein Brief des jungen französischen Mathematikers Antoine Auguste Leblanc, der Gauß mit seinem tiefen Verständnis für die Arithmetischen Untersuchungen überrascht. Angeregt durch den Gedankenaustausch, lässt Gauß seine astronomischen Studien, ermüdet von dem schon vier lange Jahre angewandten «todten mechanischen Kalkül» [Olb1: 268], eine Weile ruhen. Dieser Kurzausflug ins Reich der Zahlentheorie, der er eine neue Struktur aufgeprägt hat, bringt ihn auf die Idee, einen zweiten Band der Untersuchungen herauszugeben. Denn genügend Material hat er inzwischen angehäuft. Durch die Korrespondenz mit Leblanc rückt plötzlich auch ein altes Problem wieder in den Brennpunkt seines Interesses. So hat er in den Untersuchungen zwar einen gewissen Satz über Primzahlen streng bewiesen, doch kam mit diesem Beweis eine weitere Folgerung in die Welt, an der er sich seit vier Jahren vergeblich abquält. Seinem Freund Wilhelm Olbers gibt er Einblick in die manchmal nicht nachvollziehbaren Prozesse der Kreativität: «Aber alles Brüten, alles Suchen ist umsonst gewesen, traurig habe ich jedesmal die Feder wieder niederlegen müssen. Endlich vor
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