Gauß: Eine Biographie (German Edition)
den beiden Perfektionisten. Bessel führt die nicht übereinstimmenden Messungen zwischen Palermo und Kopenhagen, London und Petersburg allein auf die unterschiedliche Qualität der Instrumente zurück.
Im April 1818 gibt Gauß seine Messungen der Erdbahnneigung auf. Er sieht ein, dass die Ausrüstung seiner Sternwarte noch zu wünschen übriglässt. Immer wieder verzögert sich die Auslieferung der bestellten Instrumente. Hinzu kommt das Pech, dass ein Spiegel beim Transport beschädigt wird und die anschließende Reparatur viele Monate in Anspruch nimmt. Von Bessel in seiner Fehlerursachenforschung bestätigt, behauptet er jetzt sogar, jedes Instrument sei ein «Individuum und dass wir das Wahre noch garnicht kennen» [Bre: 103]. Mit großer Klarheit durchdringen auch noch seine müden, vom vielen erfolglosen Beobachten «inflammierten Augen» die nahezu unübersehbaren Fehlerquellen der beobachtenden Astronomie. Er steht im ständigen Kontakt mit den Instrumentenbauern Johann Georg Repsold in Hamburg und Georg von Reichenbach in München. Ganz zufrieden ist er nie. Immer wieder lässt er nachbessern. Mal müssen ins Gesichtsfeld eines Fernrohrs zusätzliche Beobachtungsfäden eingezogen werden, dann entspricht die Empfindlichkeit einer Libelle nicht seinen Erwartungen und wird zur Verfeinerung an den Hersteller zurückgeschickt, oder er stellt fest, dass sich die Mikroskope in wenigen Stunden merklich von selbst verstellen.
Astronomieprofessor Martin Brendel, der das astronomische Werk von Carl Friedrich Gauß mit herausgegeben hat, schreibt: «Es begegnete ihm hier wohl zum erstenmale, dass eine von ihm begonnene Untersuchung fehlschlug, während sie von anderer Seite mit Erfolg durchgeführt wurde». Gauß sei zu diesem Zeitpunkt noch weit entfernt davon gewesen, «auch auf dem Gebiet der beobachtenden Astronomie die Hoffnungen [zu] erfüllen …, die die wissenschaftliche Welt auf ihn zu setzen gewohnt war» [Bre: 70]. In solchen misslichen Situationen wird er sich mit leisem Bangen fragen, ob er mit der praktischen Astronomie den richtigen Weg eingeschlagen hat. Nie hat er verschwiegen, dass seine eigentliche Berufung die theoretische Astronomie sei. Und so beschäftigt Gauß sich viele Jahre lang mit der Berechnung der Jupitermasse aus den Störungen der Pallasbahn.
Selbst dem profilierten Rechner ist zunächst nicht ganz wohl beim Gedanken an ein Resultat, für das er 9000 Gleichungen «doppelt rechnen» musste. Da er sich selbst allerdings größte Sorgfalt attestiert, «so halte ich es für kaum zweifelhaft, dass meine Jupitermasse noch eine Verbesserung nötig hat» [Olb1: 542]. Wie beruhigend ist es doch zu sehen, dass selbst ein Perfektionist wie Gauß bei komplexen Projekten ins Schwitzen geraten kann. Über die Zuverlässigkeit des Wertes, den Laplace gefunden hat, möchte er sich Olbers gegenüber nur insofern äußern, als er dessen auf Saturnbewegungen beruhende Störungstheorie für «prekär … und zweifelhaft» hält. Am 24. Juli 1816 teilt er Olbers seinen Wert mit. Danach hat Jupiter eine Masse von 1/1050 der Sonnenmasse. Selbstbewusst kommentiert er: «… und die wahrscheinliche Ungewissheit dieser Zahl [ist] sehr nahe = 1» [Olb1: 638]. Mit seiner Methode der kleinsten Quadrate erreicht er eine bestechende Genauigkeit. Im Dezember 1817 resümiert er: «Nach meiner Wahrscheinlichkeitstheorie ist jetzt die Bestimmung der Jupitermasse aus den Pallasstörungen etwa dreimal so genau, als aus den Saturnbeobachtungen, aus denen bekanntlich Laplace ein mit dem meinigen in Widerspruch stehendes Resultat abgeleitet hat» [Olb1: 671].
Diese wiederholte Demonstration seiner Überlegenheit kennt man sonst nicht von ihm. Ist es eine Kompensation für die Enttäuschungen des Erfolgsgewohnten bei Beobachtungen mit fehleranfälligen Instrumenten? Ein weiterer Beitrag zur theoretischen Astronomie ist sein «Memoir» – eine Denkschrift – mit dem Titel Determinatio attractionis , die er im Februar 1818 veröffentlicht. Darin geht es um die über einen langen Zeitraum betrachtete Störung einer Planetenbahn durch die Masse eines anderen Planeten. Gauß stellt sich nicht mehr die Frage, ob und wie beispielsweise die Gravitation des Saturns sich auf den Asteroiden Vesta auswirkt oder wie dieselbe Beziehung zwischen Jupiter und Ceres zu berechnen sei. Das hat er fünfzehn Jahre lang mit bewunderungswürdiger Ausdauer getan, sodass er diese Beschäftigung inzwischen sogar als «lästig» [Olb1: 568]
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