Gauß: Eine Biographie (German Edition)
Je genauer die Erde vermessen ist, desto weniger fehlerhaft geraten auch die Bahnberechnungen von Jupiter, Vesta und Pallas.
In den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts haben zwei spektakuläre französische Vermessungsexpeditionen von Pierre-Louis Moreau de Maupertuis in Lappland und von Charles Marie de La Condamine in Peru die Erdabplattung nachgewiesen. Achtzig Jahre später verfeinern die europäischen Geodäten ihren Zahlenwert höchstens noch um ein paar Dezimalstellen. Mit sogenannten Gradmessungen wird die genaue Entfernung zwischen zwei Breitengraden durch Fluren und Wälder berechnet. Die Koordinaten des Ausgangs- und Endpunkts der Breitengradmessung werden dagegen astronomisch ermittelt. Und aus der Differenz zwischen irdischer und himmlischer Berechnung lässt sich dann auch die Erdkrümmung zwischen dem nördlichsten und südlichsten Punkt dieser Breitengradmessung feststellen. Je mehr Gradmessungen durchgeführt werden, desto deutlicher kommt die wirkliche Erdgestalt zum Vorschein, eine Form, mit der sich präziser rechnen lässt – wie auf Erden, so am Himmel.
Am 8. Juni 1816 schreibt Heinrich Schumacher einen Brief an Carl Friedrich Gauß, der dem frustrierten Astronomen in Göttingen entscheidende neue Impulse gibt und ihm ein neues Betätigungsfeld eröffnet. Schumacher, nach einem kurzen Gastspiel in Mannheim wieder zur Sternwarte Kopenhagen zurückgekehrt, hat vom dänischen König Friedrich VI. den Auftrag erhalten, eine Gradmessung durchzuführen, die von Skagen in Jütland bis Lauenburg an der Elbe mehr als vier Breitengrade umfassen soll. Skagen ist die nördlichste Stadt Dänemarks. Dort ist das Land nur noch drei Kilometer breit, wird immer schmaler und läuft allmählich in einer Sandzunge aus. Der südliche Punkt Lauenburg liegt rund 40 Kilometer südöstlich von Hamburg auf dänischem Hoheitsgebiet.
Schumacher fragt nun seinen Freund Gauß, ob der sich vorstellen könne, die dänische Gradmessung durch das Königreich Hannover fortzusetzen, womöglich an der Sternwarte Göttingen vorbei bis ins thüringische Gotha, wo Zach ja bereits eine Grundlinie vermessen habe. Schumacher sieht sein beachtliches Projekt über vier Breitengrade hinweg als Beitrag zur Erweiterung eines gesamteuropäischen Vermessungsnetzes, das allmählich Gestalt annähme, falls Gauß sich bereit erklären und den englischen König davon überzeugen könne, das Königreich Hannover bis zu den kurhessischen, preußischen und bayerischen Dreiecksnetzen entsprechend zu erschließen. Für eine Breitengradvermessung, wie Schumacher sie gerade plant, wird demnach die Fläche des zu vermessenden Landes in ein Netz von Dreiecken aufgeteilt. Kirchtürme, Berggipfel oder eigens errichtete Signaltürme dienen als Dreieckspunkte, die allerdings untereinander sichtbar sein müssen. Von ihnen aus werden ähnlich markante Punkte in der Landschaft anvisiert und miteinander verbunden. So entsteht vom Ausgangspunkt im Norden bis zum südlichen Endpunkt ein ganzes Netzwerk von Dreiecken, das die Erdoberfläche bedeckt. Die direkte und genaue Vermessung einer solchen Dreiecksseite, die durchaus 50 bis 70 Kilometer lang sein kann, ist am Erdboden selbst natürlich nicht möglich. Zu vielfältig sind die Hindernisse für die Maßbänder: Häuser, Gärten, Böschungen, Wälder, Berge und Flüsse. Schon kleinste Messfehler würden sich endlos fortpflanzen und zu so groben Ungenauigkeiten führen, dass die ganze Unternehmung gefährdet wäre. Aber es gibt eine elegante Lösung, die von Menschenhand errichteten Hindernisse rechnerisch zu überwinden und die grundsätzlich zu Unebenheiten neigende Natur zu begradigen. So wird nämlich zu Beginn eines Gradvermessungsprojekts mit geeichten Messlatten, Drähten oder Bändern eine nur wenige Kilometer lange sogenannte Basislinie äußerst sorgfältig gemessen. Von beiden Endpunkten dieser Grundlinie aus werden mit einem Theodoliten die Winkel zu einem zuvor festgelegten Ziel in 30 oder 40 Kilometern Entfernung ermittelt. Nach mathematischen Gesetzen lässt sich aus einer bekannten Seitenlänge und zwei bekannten Winkeln der Wert der beiden unbekannten Seitenlängen errechnen. Und die avancieren nun jeweils wieder zu einer neuen Grundlinie für die nächste Dreiecksberechnung. Dieses erprobte Verfahren nennt sich Triangulation.
Der königlich dänische Hofastronom Schumacher träumt bereits von einem durchgehend erschlossenen Meridianbogen zwischen Jütland und Sizilien. Mit seinem
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