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Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauß: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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beginnt auch Gauß wegen des Standorts zu grummeln. Denn wissenschaftshinderliche Obst- und Nutzholzbäume erregen sein Missfallen. Zur Festlegung des Meridians der neuen Sternwarte möchte er nördlich und südlich des Gebäudes eine Steinmarkierung setzen. «Schlimm ist, dass der zu der Sternwarte gewählte Platz mir schwerlich verstatten wird, eine Meridianmarke ganz so wie ich wünschte zu errichten. Im Norden läuft die Meridianlinie durch zahllose Gärten, die mit Obstbäumen mir ein paar Grad abschneiden und im Süden begrenzt meinen Horizont ein Berg, der dicht mit Waldung bewachsen ist. Vielleicht kann ich es dahin bringen, dass diese durchgehauen wird; vorläufig werde ich also mein Zeichen am Fuss dieses Berges errichten müssen, wo es nie so gut zu sehen sein kann, als wenn es im Norden sich gegen den Himmel projicierte» [BGB: 271]. Selbst bei entlaubten Bäumen im Winter ist ihm die Sicht versperrt.
    Den Kahlschlag im Wald kann Gauß später durchsetzen. Die Aktion kostet 100 Taler. Noch heute steht das Meridianzeichen im wieder zugewachsenen Wald. Es ist ein drei Meter hohes Bauwerk aus Sandstein: Auf einem trapezförmigen Fundament stehen vier niedrige Säulen mit quadratischer Grundfläche, die von einer horizontal aufliegenden Steinplatte abgedeckt werden. Gauß kann jetzt in der Sternwarte die Fäden seines Meridiankreises auf die Schlitze ausrichten, die die Abstände zwischen den Steinsäulen im 12 Kilometer entfernten Wald bilden. Damit lässt sich die Justierung des Reichenbach’-schen Meridiankreises kontrollieren, der im Herbst 1819 geliefert wird – ein Gerät, das selbst einen kritischen Kunden wie Gauß begeistert. * Außer ihm darf es niemand benutzen, und auch er selbst fasst es nur mit Handschuhen an. Seine begabtesten Studenten Encke und Nicolai stehen daneben, dürfen mit der Lampe leuchten und die Zahlenkolonnen protokollieren, wenn der Meister den Himmel beobachtet. Selbst der inzwischen zum ordentlichen Professor beförderte Harding muss den Sternwartendirektor um Erlaubnis fragen.
    Im Juli 1818 ist Minna zur Kur in Bad Pyrmont, da sie, wie Gauß sich ausdrückt, «ohne eigentlich krank zu sein, doch sehr einer stärkenden Kur bedarf» [Olb1: 702]. Joseph ist jetzt 12, Minna 10, Eugen 7, Wilhelm 5 und Therese 2 Jahre alt. Es gibt zwar eine Hausangestellte auf der Sternwarte, die Minna Gauß die groben Arbeiten abnimmt, dennoch scheint sie in ihrem 30. Lebensjahr erschöpft zu sein, müde, niedergeschlagen, appetitlos. «Denke nur an nichts, als wie du dich erheiterst, und deine Kräfte stärkst» [Mac: 74], schreibt der besorgte Ehemann nach Bad Pyrmont.
    Seit einem Jahr ist die fünfundsiebzigjährige Dorothea Gauß nach Göttingen übergesiedelt. Der Sohn hat sie in sein Haus geholt. Sie wohnt in einem kleinen Zimmer im Erdgeschoss, von wo aus sie die Terrasse betreten und im Garten spazieren gehen kann. Eine Akazie steht vor ihrem Fenster [Dun: 203]. Großmutter Gauß hält sich still im Hintergrund. Sie isst allein in der Küche und lässt sich angeblich nicht dazu bewegen, an den Familientisch zu kommen. Auch im Professorenhaushalt will sie ihre bäuerliche Kleidung nicht mehr gegen feineren Zwirn eintauschen. Richtig heimisch wird sie hier, vor den Toren Göttingens, nicht mehr werden. Ihre Gedanken kreisen um Verwandte, Bekannte und Nachrichten aus Braunschweig und aus ihrem Heimatort Velpke. Aber sie wird noch 21 Jahre bei ihrem geliebten Sohn leben.

    Wie am Himmel, so auf Erden? Bei der Projektion der Erdgestalt mit ihren Längen- und Breitengraden, mit Äquator und den Polen auf das gestirnte Himmelsgewölbe dürfen wir nicht von einer Eins-zu-eins-Entsprechung ausgehen. Die Erde ist keine perfekte Kugel. Sie ist aufgrund ihrer Rotation an den Polen abgeflacht, was zu unterschiedlichen Krümmungsmaßen der Meridiane vom Nord- zum Südpol führt. Ginge man also bei der wissenschaftlichen Ausmessung und Abbildung der Erdoberfläche von einer perfekten Kugel aus, erhielte man verzerrte Werte für Oberfläche und Volumen der Erde, die nicht der geographischen Wirklichkeit entsprächen. Die Lage eines Ortes könnte bei der Kugel-Hypothese bis zu zehn Kilometer von seiner wirklichen Position abweichen. Bedeutsam ist die Kenntnis der genauen Erdgestalt auch deshalb, weil die Messung der Entfernungen im Sonnensystem auf den Werten der Erddimensionen beruht. Astronomie und Geodäsie – so nennt sich die Wissenschaft der Erdvermessung – haben daher ein gemeinsames Interesse.

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