Gauts Geister 4 - Ehrengarde
zum ersten Mal war es ihnen nicht gelungen, das
Problem im ersten Anlauf zu lösen.
Die Chelonpfade führten zu den
Quellflüssen des heiligen Flusses und waren größtenteils steil. Der schmale und
manchmal gewundene Weg hatte sie in bewaldetes Land geführt, in dem es keine
Spur von anderen Menschen gab. Unter Ausnutzung von Sanians Wissen hatten sie
einen Weg gewählt, der die schlimmsten der tiefer gelegenen Trampelpfade und
Furchen mied, wo der dichte und ungesunde Regenwald wuchs und gedeihte.
Stattdessen hielten sie sich mehr ans offene Gelände, wo das schräg abfallende
Land mit Baumgruppen und kleinen Laubwäldern bedeckt war, durch welche die Wege
führten. Das Wasser war niemals weit entfernt: hektische Wasserläufe und Bäche,
die manchmal über Vorsprünge in den Schluchten schossen und in kleinen
silbernen Fällen in die Tiefe rauschten. Oder die Masse des Hauptstroms, der
das Gefälle herabdonnerte und jähe Kluften in brodelnde Katarakte verwandelte.
Jedes Mal, wenn sie die Deckung
der Bäume verließen, konnten sie zurückschauen und die riesige gelblichgrüne Ebene
des Flusstals unter ihnen sehen.
»Vielleicht könnten wir einen
Baumstamm als Hebel benutzen«, schlug Bragg vor.
Greer betrachtete den massigen
Tanither, dann den Chimäre und dann wieder den Tanither. »Das schaffen nicht
einmal Sie«, sagte er.
»Funktioniert die?«, fragte
Corbec, indem er auf die Kabeltrommel der elektrischen Winde unter der Nase des
Chimäre zeigte.
»Natürlich nicht«, sagte Greer.
»Dann probieren wir es damit,
dass wir Zeug unter die Kette da packen«, sagte Corbec. »Dann kann Greer es noch
mal versuchen.«
Sie sammelten Steine und Äste
vom Weg und Schieferbrocken aus dem Bachbett, und Derin und Daur hebelten sie
unter die Kette.
Der Trupp trat zurück, und
Greer ließ den Motor wieder an. Die Ketten fassten. Es knackte laut, als ein
Ast brach, dann ruckte das Vehikel vorwärts und wieder auf den Weg. Es gab
halbherzigen Jubel.
»Einsteigen!«, rief Corbec.
»Wo ist Vamberfeld?«, fragte
Dorden. Der Verghastit hatte seit dem Zwischenspiel in Mukret kaum etwas gesagt
und war für sich geblieben.
»Vor einer Sekunde war er noch
da«, sagte Daur.
»Ich gehe ihn suchen«, erbot
Milo sich.
»Nein, Brinny«, sagte Bragg.
»Lass mich.«
Während die anderen sich für
die Weiterfahrt fertig machten, schlug Bragg sich in die Büsche. Vögel
zwitscherten und sangen in den belaubten Kronen der hohen, kahlen Stämme. An
vielen Stellen fiel Sonne ein, und der Wald war ein streifiges Wechselspiel aus
Licht und Schatten.
»Vambs? Wo bist du, Vambs?«
Bragg hatte seit dem Steinwerfen ein besitzergreifendes Interesse an
Vamberfelds Wohlergehen. Der Oberst hatte ihn gebeten, Vamberfeld im Auge zu
behalten, aber für Bragg war es jetzt kein Befehl mehr, dem er folgte. Er war
ein Mann mit einem großen Herzen und hasste es, einen anderen Geist in so
schlechter Verfassung zu sehen.
»Vambs? Die anderen warten auf
dich!«
Am Ende des Wäldchens öffnete
sich das Land zu einer ausgedehnten, schräg abfallenden Wiese, die mit
Wildblumen und Steinhaufen übersät war. In einer Ecke, direkt am Waldrand, sah
Bragg die Ruine eines alten Unterstands, eine Hirtenhütte. Er ging darauf zu
und rief dabei in regelmäßigen Abständen Vamberfelds Namen.
Auf der Weide grasten viele
Chelon, sah Vamberfeld. Nicht so viele, dass sich ein Trieb zum Markt lohnen würde,
aber der Grundstock für eine gute Herde. Die Kühe schoben Blattmulchhaufen
zusammen, auf die sie vor dem nächsten Neumond ihre Eier legen würden.
Das Mädchen saß mit
untergeschlagenen Beinen vor seiner Hütte und sprang wachsam auf, als es
Vamberfeld kommen sah.
»Warte, warte bitte ...«, rief
er. Die Worte klangen komisch. Seine Zunge war noch geschwollen, nachdem er sie
sich während seines Anfalls durchgebissen hatte, und es machte ihn verlegen,
wie seine Stimme deswegen klang.
Das Mädchen verschwand in
seiner Hütte. Vorsichtig folgte er ihm.
Die Hütte war leer bis auf ein
paar alte Blätter und Stöcke. Einen Moment glaubte er, das Mädchen könne sich versteckt
haben, aber dafür gab es keine Möglichkeit, und es gab auch keine losen Bretter
in der Rückwand, durch die es hätte verschwinden können. Vor der Tür lagen ein
paar alte Jiddi-Stöcke auf dem Boden, und an einem Haken an der Wand hing der
krumme Griff eines abgebrochenen Hirtenstabs. Er war sehr alt und das zackige,
abgebrochene Ende schmutzig und abgenutzt. Er nahm ihn vom
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