Gauts Geister 4 - Ehrengarde
keine Leichen, nicht einmal Abfall oder
irgendein sichtbarer Schaden.
Er ließ die Breviater mit
knappen Handzeichen ausschwärmen. In ihren senfgelben Rüstungen und Uniformen
rückten die breviatischen Geschütztrupps durch parallele Alleen von Stelen vor.
Szabo wählte eine Kom-Frequenz.
»Brevia eins. Null Widerstand
in der Zitadelle. Es ist verdammt ruhig.«
Er sah sich um und schickte
Sergeant Vulle mit zwanzig Männern in die hochgelegene Kapelle des Rächenden Herzens
voraus. Szabo rückte selbst in ein kleineres Ordenshaus ein, in dem der Chor
der Ekklesiarchie gewohnt hatte.
Im Säulengang angelangt, sah er
die Reihe leerer Alkoven, wo sich der Hausschrein hätte befinden müssen.
Vulle meldete sich über Kom aus
dem Rächenden Herz.
Jeder heilige Gegenstand, jede
Ikone, jeder Text, jede Statue war aus der berühmten Kapelle entfernt worden.
Andere Geschütztrupps, die sich von überall aus dem Tempelbezirk meldeten,
berichteten dasselbe. Altäre waren leer, Gebetsnischen kahl, Reliquienhäuser
ausgeräumt.
Szabo gefiel das nicht. Seine
Männer waren nervös. Sie hatten zumindest mit Kämpfen gerechnet. Dies war doch angeblich
Pater Sündes Versteck, der Ort, an dem er sich zum letzten Gefecht stellen
sollte.
Die Breviater durchkämmten die
ausgedehnten Kolonnaden und Anlagen. Nichts rührte sich auf dem Hochplateau,
abgesehen vom Wind.
Mit einem Trupp von acht
Männern drang Szabo in den Hauptschrein ein, den Tempelum Infarfarid Sabbat, ein
hoch aufragender Komplex aus rosa Quadersteinen und megalithischen Säulen, der
sich dreihundert Meter über das Herz der Zitadelle erhob. Auch hier war der
Altar nackt. Von der Größe eines Truppentransporters, war auf dem kolossalen
vergoldeten Altar keine Spur von Kerzenleuchtern, Weihrauchfässchen,
Triptychon-Altarschirm oder Adlerstandarte zu sehen.
Ein eigenartiger Geruch lag in
der Luft, scharf und durchdringend, als werde dickflüssiges Öl erhitzt oder eingelegter
Fisch.
Szabos Lippen waren plötzlich
feucht. Er leckte sie ab und schmeckte Kupfer.
»Major, Ihre Nase ...«, sagte
einer seiner Männer, indem er auf Szabos Gesicht deutete.
Szabo wischte sich die Nase ab
und sah, dass sie blutete. Ein rascher Blick in die Runde verriet ihm, dass
alle Männer in seinem Trupp aus der Nase oder aus den Augen bluteten. Jemand
fing an zu wimmern. Soldat Emith fiel plötzlich vornüber aufs Gesicht,
mausetot.
»Großer Gott-Imperator!«, rief
Szabo. Noch einer seiner Männer fiel in Ohnmacht, während Blut aus seinen Tränendrüsen
strömte.
»Kom-Offizier!«, rief Szabo. Er
griff nach dem Gerät. Der Geruch wurde stärker, tausendmal intensiver. Die Zeit
schien langsamer abzulaufen. Er beobachtete seine eigene Hand, wie sie sich
ausstreckte. Wie langsam! Die Zeit und sogar die Luft rings um ihn schien
sirupdick und schwer geworden zu sein. Er sah seine Männer in der Zeit
verlangsamt wie Insekten in Sirup. Manche befanden sich im Zustand des Fallens,
mit ausgestreckten Gliedern, andere zuckten, wieder andere waren auf den Knien.
Perfekte, glitzernde Blutstropfen hingen in der Luft.
Jemand hatte dies getan. Jemand
hatte sich vorbereitet. Sie hatten die Schreine ihrer heiligen, schützenden
Zauber beraubt. Und etwas anderes dafür zurückgelassen.
Etwas Tödliches.
»Eine Falle! Eine Falle!«,
brüllte Szabo ins Kom-Gerät. Sein Mund war voller Blut. »Wir haben durch unsere
Ankunft hier irgendwas in Gang gesetzt! Wir ...«
Der Würgereiz überwältigte ihn.
Szabo ließ das Sprechgerät los und erbrach Blut auf den polierten Boden des Tempeluni
Infarfarid Sabbat.
»O Heiliger Imperator ...«,
murmelte Szabo. In dem Blut waren Maden.
Die Zeit stand still. Über
Doctrinopolis brach verfrüht die Nacht herein.
In einem Aufflackern blauen
Lichts wie die Blütenblätter einer einen Kilometer durchmessenden
durchsichtigen Orchidee explodierte die Zitadelle.
FÜNF
Der Lockruf
»Von diesem hohen Felsen, von
diesem Gipfel,
soll das Licht der Verehrung
leuchten, auf
dass es der Imperator auf
seinem Goldenen
Thron persönlich sehen möge.«
— Widmung auf dem Hochaltar des
Tempelum Infarfarid Sabbat
Die Zitadelle brannte viele
Tage. Sie brannte ohne Flammen oder wenigstens ohne Flammen, wie die Menschheit
sie kannte. Neblig blaue und frostig grüne Zungen aus strahlender Energie
sprangen kilometerhoch in die Luft wie bei einem an das Plateau gebundenen
Polarlichtphänomen. Die Energiezungen flatterten hilflos im Wind.
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