Gauts Geister 6 - Tödliche Mission
Blumen mit seltsam
geformten Blütenblättern bedeckten den Boden zwischen den Bäumen und wuchsen
zwischen nassem Moos und Efeu. Er fragte sich, ob der Geruch von ihnen
stammte.
Er drehte sich zu Beltayn um und nahm ihm sein Nachtgepäck
ab.
Dann nahm er auch Beltayns Gepäck.
»Das ist nicht nötig«, sagte Beltayn.
»Ach, lassen Sie mich das eine Weile tragen«, sagte Gaunt.
Der Weg wand sich durch den Wald, doch von Ackerland oder
gar dem Dorf war keine Spur zu sehen. Sie überquerten einen rauschenden Bach
auf einer uralten Steinbrücke, die der Schimmel schwarz gefärbt hatte. Vogelgezwitscher
und Insektengebrumm waren auf eine unheimliche Weise allgegenwärtig zwischen
den Bäumen. Das Dickicht am Wegrand war mit Spinnweben bedeckt, in denen
Wassertropfen wie Quarz glitzerten.
»Was hat der Maschinist über Räuber gesagt?«, fragte
Beltayn, während er stehen blieb, um einen Stein aus einem seiner Stiefel zu
entfernen.
»Deserteure, glaube ich«, sagte Gaunt. »Im Lauf der Jahre
haben sich hier in den Wäldern ganze Banden gebildet. Sie überleben, indem sie
Bauernhöfe bestehlen, wildern ...«
»Räubern?«, fügte Beltayn hinzu. »Da sie anscheinend
Räuber sind.«
Gaunt zuckte die Achseln.
»Tja, vielleicht war das keine so gute Id...«, begann Beltayn,
verstummte jedoch, als Gaunt eine Hand hob.
Jenseits der nächsten Lichtung, zwischen einer Gruppe
weißer Birken mit glitzernder Rinde, hatte sich ein Hirsch aus den
Nebelschwaden gelöst. Er stand einen Moment da und betrachtete sie mit
geneigtem Kopf. Dann wendete er sich ab und jagte davon.
Einen Herzschlag später sahen sie andere etwas weiter
entfernt lautlos durch die Bäume jagen. Wie Geister.
Eine volle Stunde nach Beginn ihres Marschs verließen sie
den Wald an einer Stelle, wo das Land in bestellte Felder überging.
Schwankende Ähren jungen grünen Weizens bedeckten die
Hänge eines Hügels, der bis zum Beginn eines anderen Waldes im Tal reichte.
Es war ein guter Aussichtspunkt, doch von einem Dorf war
keine Spur zu sehen.
»Ich habe Hunger«, sagte Beltayn.
Gaunt sah ihn an.
»Ich sage es ja nur«, sagte er.
Gaunt stellte die Taschen ab und wischte seine Stirn trocken.
Der Spaziergang hatte ihn zwar belebt, aber er war langsam geneigt, Beltayn
Recht zu geben: Er war keine gute Idee gewesen.
Er warf einen Blick auf den Sonnenstand und auf seine Uhr.
Er wünschte, er hätte seinen Kompass oder sein Ortungsgerät bei sich gehabt,
aber er hatte keinen Grund gesehen, eines dieser Dinge mitzunehmen. Seine
Tasche enthielt lediglich sein Rasierzeug, die Galauniform und seine Ausgabe
von Die Sphären der Sehnsucht.
Er wollte Beltayn fragen, welchen Weg er bevorzugte, aber
das wäre gleichbedeutend damit gewesen, zuzugeben, dass er sich verirrt hatte.
Er beschloss, dem Weg weiter bis zum Rand des Felds zu folgen, wo er dann in
Richtung Tal abknickte. Vielleicht gab es da unten eine Straße.
Sie waren vielleicht hundert Schritte weit gekommen, als
er wieder stehen blieb. »Sehen Sie das?«, fragte er.
Beltayn blinzelte. Unten im Tal und halb im Wald verborgen
stand ein Bauwerk. Graue Backsteine mit einem Schieferdach.
Irgendein Turm ragte durch das Blätterdach.
»Sie haben scharfe Augen, Herr Kommissar«, sagte Beltayn.
»Das hätte ich in tausend Jahren nicht gesehen.«
»Kommen Sie«, sagte Gaunt.
Es war eine Kapelle, alt und heruntergekommen und im
grünen Dämmerlicht des Waldes begraben. Die Mauern waren mit Efeu und anderen
Kletterpflanzen bewachsen. Hellgrüne Flechten nagten an den Backsteinen. Sie
gingen um die teilweise eingestürzte Mauer und folgten einem Weg durch das alte
Tor zur Tür. Der Geruch war wieder da, der Blumengeruch. Er war so stark, dass Gaunt
das Gefühl hatte, niesen zu müssen. Er konnte keine Blumen sehen.
Gaunt stieß die Tür auf und marschierte in die kalte Düsternis
der Kapelle. Drinnen war alles sehr schlicht gehalten, aber gut in Schuss. Am
Ende der Bankreihen brannte eine Kerze auf dem Imperiumsaltar. Beide Männer beschrieben
das Zeichen des Adlers, und Gaunt schritt durch den Mittelgang zum geschnitzten
Ebenbild des Imperators. Im Buntglas der Spitzbogenfenster erblickte er das
Bildnis der Heiligen Sabbat inmitten der Ehrwürdigen.
»Na«, murmelte eine Stimme aus der Dunkelheit.
»Da seid ihr ja endlich.«
Sie war sehr alt und blind. Ein Streifen aus schwarzer
Seide war in Augenhöhe um ihren Kopf gewickelt. Ihre silbernen Haare lagen eng
am Kopf an. Das Alter hatte
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