Gayheimnisse reloaded (German Edition)
dann blickte der andere Mann auf. »Sie haben ihn verhaftet!«
Das war eine Botschaft, die wohl jeder in den letzten Jahren mehr als genug gehört hatte und dennoch schnitt Jeans Traurigkeit in Henris Herz. »Wen?«, fragte er leise.
»Guillaume Mercier. Den liebenswürdigsten Menschen, den man sich vorstellen kann.«
»Was wird ihm vorgeworfen?«
»Konterrevolutionäre Gesinnung.« Jean schickte ein empörtes »Pah!« hinterher.
»Ein Verwandter von dir?«
»Nein. Aber das soll nichts heißen. Er war über dreißig Jahre Küster in der Kirche von Grainville, ehe sie diese vor zwei Jahren zugemacht haben. Er war immer ein väterlicher Freund für mich, wir haben oft Schach gespielt, zusammen geredet und …« Die Stimme versagte ihm und er kniff die Augen fest zusammen.
Da Jean bestimmt nicht wollte, dass er Zeuge wurde, wie er die Fassung verlor, ging Henri zum Herd. »Ich habe etwas zu essen gemacht.« Er gab Jean einen Moment Zeit, dann kehrte er mit zwei Tellern zum Tisch zurück.
Sein Plan war aufgegangen. Jean rang sich ein schiefes Lächeln ab. »Du hast gekocht?«
»Milchsuppe mit Kirschen.«
»Klingt gut.«
Jean half ihm, den Tisch zu decken und den Topf rüberzutragen. Dann rührte er in seinem Teller herum, ohne etwas zu essen.
»Wo haben sie ihn hingebracht? Kannst du versuchen, ihn zu befreien?«, fragte Henri ein paar Minuten später.
Jean schüttelte den Kopf. »Sie haben ihn nach Rennes geschafft. Aber keine Chance, ihn da herauszuholen. Die haben die Wachen verstärkt, seit vor drei Tagen jemand zwei junge Adlige mit dem dümmsten aller Tricks – er hatte sich als alte Frau verkleidet – irgendwie aus dem Gefängnis geschmuggelt hat. Das hat ein Riesengeschrei gegeben und jetzt sind alle Wachen doppelt besetzt.«
Henri verschluckte sich, spuckte einen Kirschkern über den Tisch und hustete Mitleid erregend. Jean klopfte ihm auf den Rücken, dann stoppte er die Bewegung plötzlich.
»Der Mann ist dabei angeschossen worden, konnte aber mit den Gefangenen fliehen«, meinte er mit durchdringendem Blick.
Henri war vom Husten schon so rot, dass Jean nicht mit Bestimmtheit sagen konnte, ob ihm jetzt noch mehr Röte ins Gesicht schoss. »Du weißt da nicht zufällig etwas drüber?«
»Nichts«, versicherte Henri und aß hastig weiter.
Jean seufzte tief auf und versuchte sich einzureden, dass das ein zu großer Zufall wäre. Er wollte einfach nicht noch mehr Verwicklungen in seinem Leben haben.
»Die Milchsuppe schmeckt übrigens beschissen und die Kirschen haben alle noch die Kerne«, meckerte Jean, nachdem sie eine Weile schweigend gegessen hatten.
»Ein paar Kerne sind gut für den Geschmack, hat meine Großmutter immer gesagt«, konterte Henri.
»Ein paar? Jede verdammte Kirsche trägt hier zur Geschmacksverbesserung bei!«, wetterte Jean. Es tat gut, ein bisschen Dampf ablassen und herumalbern zu können.
»Wenn du die Suppe jetzt schon beschissen findest, was glaubst du denn, wie die ohne Kerne schmecken würde?«, gab Henri flapsig zur Antwort.
Jean riss die Augen auf. »Verdammt, Henri! … Gott, du hast so ein loses Mundwerk!« Und aus einem Impuls heraus spuckte er den Kern, den er gerade im Mund hatte, mit Schwung in Henris Teller.
Statt wütend zu werden, lachte Henri laut auf. »Meine Großmutter hätte dir hierfür bestimmt eins hinter die Ohren gegeben.«
»Das kann schon sein.« Henris Lachen war ansteckend und mit einem breiten Grinsen spuckte Jean noch einen Kern über den Tisch, der Henri dieses Mal an der Hand traf.
Henri zielte auf Jeans Teller und der revanchierte sich noch einmal. Sie feuerten sich an und lachten – und wenn dabei ein Hauch von Falschheit, von Aufgesetztheit, mitschwang, so war es doch zu befreiend, um dem große Beachtung zu schenken.
Als Henri in dieser Nacht wieder Albträume hatte, weckte Jean ihn gar nicht erst, sondern schlang gleich seinen Arm von hinten um ihn und zog ihn zu sich heran. Nur dieses Mal war Henris Hemd durch sein gequältes Herumwühlen hochgerutscht, und Jeans Finger landeten direkt auf der nackten Haut seines Bauches. Von der einen auf die andere Sekunde bekam eine kameradschaftlich gemeinte Geste plötzlich ganz andere Untertöne.
Jean merkte, wie sich sein Atem beschleunigte, wie sich Wärme in seinem Unterleib sammelte und von dort nach überall hin ausstrahlte. Innerhalb eines Atemzugs flutete verdrängtes Verlangen durch ihn, das seine Fingerspitzen kribbeln ließ. Es war schon verflucht lange her, dass er mit
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