Gebannt - Unter Fremdem Himmel
an Außenseitern vorzunehmen. Sie leiden nicht unter dieser gefährlichen Reaktion auf Stress und Angst, wie das bei uns der Fall ist. Tatsächlich habe ich eine entgegengesetzte Wirkung festgestellt. Der ZGB trifft Vorbereitungen, sie in unsere medizinischen Einrichtungen zu bringen. Auf diese Weise habe ich auch deinen Vater kennengelernt. Ich arbeite derzeit mit Außenseiterkindern. Nach dem, was geschehen ist, fällt mir das leichter.«
Arias Herz verkrampfte sich, und ein schier unerträglicher Schmerz erfasste sie.
Das konnte nicht wahr sein.
Sie war keine Außenseiterin.
Es konnte nicht stimmen.
Lumina presste sich die Finger auf die Lippen, als könne sie selbst nicht glauben, was sie da gerade gesagt hatte. Dann ließ sie die Hände wieder sinken. Als sie erneut sprach, klang ihre Stimme gehetzt und tränenerstickt.
»Ich habe dich nie auch nur in irgendeiner Form als minderwertig betrachtet. Die Außenseiterhälfte in dir ist der Teil, den ich am meisten liebe. Es ist deine Beharrlichkeit. Dein großes Interesse an meinen Forschungsarbeiten und den Welten. Ich weiß, dass die Leidenschaft in dir diesem Teil entstammt.
Bestimmt hast du jetzt tausend Fragen. Was ich dir nicht erzählt habe, ist zu deinem eigenen Schutz.« Erneut schwieg sie einen Moment und lächelte mit feuchten Augen in die Kamera. »Außerdem ist es doch immer besser, wenn man selbst auf Antworten kommt, nicht wahr?«
Lumina beugte sich vor, als wollte sie die Aufnahme beenden. Ihr gequältes Gesicht füllte den ganzen Bildschirm. Dann zögerte sie jedoch und lehnte sich wieder zurück; dabei zuckten ihre Schultern nervös, und ihre kleine Statur schwankte, als könne sie sich nicht zurückhalten.
Als Aria sie so sah, strömten ihr Tränen über die Wangen.
»Tust du mir einen Gefallen, Singvogel? Singst du die Arie für mich? Du weißt schon, welche. Du singst sie so wunderschön. Ich weiß, dass ich sie hören werde, wo immer ich dann bin. Auf Wiedersehen, Aria. Ich liebe dich.«
Der Bildschirm wurde schwarz.
Aria nahm ihren Körper nicht mehr wahr.
Fühlte keinen Herzschlag.
Konnte keinen Gedanken fassen.
Vor ihr tauchte Perry auf. In seinem Blick funkelten Wut und Kränkung. Was war da gerade passiert? Was hatte Lumina da gesagt? Sie untersuchte Außenseiter kinder ?
Wie Talon ?
Perry wuchtete den kleinen Couchtisch hoch, kippte dabei die Vase mit den Rosen um und schleuderte den Tisch mit einem unterdrückten Schrei gegen den Wandbildschirm. Zuerst zerbrach die Vase und landete mit einem dumpfen Knall vor ihren Füßen. Dann zersplitterte der Bildschirm in Tausende von winzigen Glasscherben, die noch auf den Boden herabprasselten, als Perry längst aus dem Raum gestürmt war.
Aria sah sich die Nachricht ihrer Mutter auf dem großen Monitor im Wohnraum noch drei weitere Male an. Marron blieb bei ihr und tätschelte ihr das Knie, begleitet von leisen, beruhigenden Geräuschen.
Sie blickte auf das Taschentuch hinab, das sie zusammengeknüllt in der Hand hielt. Ihr war, als zerreiße es ihr das Herz. Der Schmerz schien immer schlimmer zu werden.
»Genau dasselbe ist auch in Ag 6 passiert«, erklärte sie Marron nach einer Weile. »Diese Krankheit. DLS.« Aria erinnerte sich an Sorens weit aufgerissene, glasige Augen, während er in das Feuer gestarrt hatte. Daran, wie angespannt Bane und Echo gewesen waren. Und dass selbst Paisley Angst davor gehabt hatte, die Bäume könnten auf sie herabstürzen. »Der einzige Unterschied ist der, dass wir uns an jenem Abend absichtlich aus dem System ausgeklinkt haben.«
Aria kniff die Augen zusammen und kämpfte gegen die Vorstellung an, was passieren würde, wenn das Chaos, das sie in Ag 6 erlebt hatte, sich in einem viel größeren Umfang abspielte. Ein umfassender Aufruhr in der Biosphäre, in der ihre Mutter sich befand. Tausend Sorens, die Feuer legten und Smarteyes abrissen. Welche Überlebenschance blieb Lumina da, eingekeilt zwischen dem Äther im Freien und DLS im Inneren der Kuppeln?
Marron musterte sie voller Anteilnahme. Er wirkte ausgelaugt von der Anstrengung des Tages, sein Haar war zerzaust, sein Hemd zerknittert und feucht, nachdem er sie gehalten und sie an seiner Seite geweint hatte. »Deine Mutter war sich der Situation bewusst. Sie hat dir diese Nachricht geschickt. Sie muss auf etwas Derartiges vorbereitet gewesen sein.«
»Du hast recht. Das muss sie. Sie ist immer vorbereitet.«
»Aria, wenn du willst, können wir das Smarteye jetzt ausprobieren.
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