Gebannt - Unter Fremdem Himmel
Liebestraum verflogen. Die Stunde ist vorbei, und ich sterbe verzweifelt! Und hab das Leben niemals so sehr geliebt!«
Wie von einer unsichtbaren Macht getrieben, fanden sich ihre Hände. Aria schaute auf ihre miteinander verschränkten Finger und spürte seine Berührung. Die Wärme und die Schwielen. Weich und hart zugleich. Sie nahm seinen Schrecken, seine Schönheit, seine Welt in sich auf, saugte jeden Moment der vergangenen Tage auf. Dies alles erfüllte sie wie der erste Atemzug, den sie je getan hatte. Und hab das Leben niemals so sehr geliebt …
Aria | Kapitel Siebenundzwanzig
Als Aria mit Perry zum Nabel zurückkehrte, zeigte der Countdown nur noch siebenundvierzig Minuten an. Roar stand neben Marron an der Steuerungskonsole. Vage nahm sie wahr, dass die beiden leise miteinander sprachen und dass Perry hinter dem Sofa auf und ab ging. Doch sie konnte sich auf nichts anderes konzentrieren als auf die Ziffern auf dem Bildschirm.
Mom , flehte sie stumm. Sei da. Bitte sei da. Ich brauche dich.
Perry und ich brauchen dich.
Als der Zähler null erreichte, hatte sie eine Fanfare erwartet. Einen Alarm, irgendein Geräusch. Aber da war nichts. Kein Ton.
»Ich habe hier zwei Dateien. Beide lokal auf dem Smarteye gespeichert«, sagte Marron und ließ sie auf dem Wandbildschirm erscheinen. Eine Datei besaß ein Datum und eine Zeitangabe und zeigte einundzwanzig Minuten Aufnahmezeit an. Die andere hieß »Singvogel«.
Aria hatte gar nicht wahrgenommen, dass Perry sich zu ihr aufs Sofa gesetzt und ihre Hand genommen hatte. Sie verstand auch nicht, wie ihr das hatte entgehen können. Doch nun, da sie sich dessen bewusst wurde, erschien er ihr als das Einzige auf der Welt, was sie davon abhielt, von der Couch zu sinken.
Sie beschlossen, zunächst die Dateien zu überprüfen, bevor sie versuchten, Lumina zu kontaktieren. Aria bat darum, zuerst die Aufnahme anzuschauen – die Datei, die sie beide benötigten. Als Tauschmittel für Talon. Als Beweis, um ihren Namen reinzuwaschen. Aria machte sich auf Feuer und Soren gefasst. Auf die Laute der sterbenden Paisley. Sie konnte nicht glauben, dass sie sich sehnlichst wünschte , dass die Aufnahme tatsächlich noch existierte.
Auf dem Wandbildschirm erschien ein schwelender Wald. Paisleys panische Stimme drang durch den Raum. Bilder, die Aria mit eigenen Augen gesehen hatte, wurden auf dem Monitor abgespielt. Ihre Füße, die unter ihr verschwammen. Ein kurzes Aufblitzen von Paisleys Hand in der ihren. Schauderhafte Bilder von Feuer, Rauch und Bäumen. Als die Stelle kam, an der Soren Paisleys Bein packte, räusperte Perry sich neben ihr.
»Du brauchst das nicht alles anzusehen«, sagte er leise.
Sie schaute blinzelnd zu ihm, und ihr war zumute, als wäre sie aus einem tranceartigen Zustand erwacht. Der Timer zeigte noch weitere sechs Minuten an, doch sie wusste, wie die Aufnahme endete. »Das reicht.«
Sofort wurde der Wandbildschirm dunkel, und Stille breitete sich aus. Die Aufnahme hatten sie also retten können. Eigentlich hätte sich das mehr wie ein Triumph anfühlen müssen, aber Aria war nach Weinen zumute. Sie hörte noch immer das Echo von Paisleys Stimme.
»Ich muss mir die andere Datei anschauen«, sagte sie.
Marron klickte auf »Singvogel«. Luminas Gesicht nahm den größten Teil des Wandbildschirms in Anspruch. Ihre Schultern reichten von einem Ende des Raums bis zum anderen. Marron passte das Bild auf die halbe Größe an, doch Lumina blieb dennoch überlebensgroß.
»Das ist meine Mutter«, hörte Aria sich sagen.
Lumina lächelte in die Kamera – ein rasches, nervöses Lächeln. Ihr dunkles Haar war straff aus dem Gesicht gekämmt und im Nacken hochgesteckt, so wie sie es immer trug. Hinter ihr standen mehrere Regalreihen mit etikettierten Kisten. Sie befand sich in einer Art Lagerraum.
»Es ist ein wenig seltsam, zu einer Kamera zu sprechen und so zu tun, als säßest du dort. Aber ich weiß, dass du dort sitzt, Aria. Ich weiß, dass du jetzt zuschaust und zuhörst.« Ihre Stimme war laut, hallte durch den Raum. Sie griff sich an den Hals und glättete den Kragen ihres grauen Arztkittels.
»Wir haben hier ein Problem. Bliss ist bei einem Äthersturm schwer beschädigt worden. Die Konsuln gehen davon aus, dass vierzig Prozent der Biosphäre kontaminiert wurden. Aber sämtliche Generatoren versagen, und die Zahl der Opfer steigt offenbar stündlich an. Der ZGB hat Hilfe zugesagt, auf die wir jetzt warten. Wir haben die Hoffnung nicht
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